Die Strudel und Strömung zerrten an meinen Läufen, meine Pfoten rutschten hin und her. Ich machte mich schwer. Reckte den Kopf ganz hoch. Spannte jeden Muskel an. Und kämpfte mich Schritt für Schritt zur Bauchtasche. Da tauchte T plötzlich wieder auf. Ihre Haare kringelten sich wie kleine Schlangen um ihren Kopf. Weiter, Milla! Weiter! Na, los! Mach schon! Weiter, rief sie mir zu. Ihre Stimme ertrank fast in dem Gebrüll des Flusses. Weiter? Aber wohin? Ich wollte bei ihr bleiben. Ich. Musste. Sie. Retten. Jetzt! Meine Muskeln zitterten. Meine Pfoten schmerzten. Überall nur Wasser, eiskalt, reißend und beißend und schrecklich stark. Viel stärker als ich. Mach schon! Weiter!, brüllte T und sah jetzt furchterregend aus mit ihrem verzerrten Mund und den dunklen Augen und den Schlangenhaaren. Was immer auch T entscheidet – sie ist der Chef. Sie gibt die Richtung vor. Immer. T zeigte zum Ufer, schwenkte ihre Bauchtasche und brüllte: Mach schon, Milla! Weiter! Ich gehorchte. Gegen meinen Willen. Ich ließ T alleine. Kämpfte mich ans Ufer.
Und zitterte. Vor Angst. Vor Erleichterung. Die Angst um T und die Erleichterung, nicht fortgerissen und zerschmettert worden zu sein, vernebelte mir mein kleines Köterhirn. Ich stand nur da und sah zu T, die auf dem Rücken in den Stromschnellen lag. Die Hand mit der Bauchtasche weit nach oben gestreckt. Den Kopf hoch gereckt, nach Luft schnappend wie ein Fisch auf dem Trockenen. Ich versuchte mich zu beruhigen. Zu Atem zu kommen. Eine Idee zu finden, wie ich T retten konnte. Das einzige, was mir in meiner Panik einfiel: Ich brüllte das Wasser an. Wild und laut und drohend. Ohne Pause. Dann knurrte ich so tief ich konnte. Es half alles nichts. Das Wasser brüllte ebenfalls, viel lauter als ich, und brodelte um T herum. Drohte sie mitzureißen wie einen toten Ast. T hätte nur die Bauchtasche loslassen müssen. Oder zu mir werfen. Doch darin war ihre geliebte Kamera.
Schließlich rollte T sich auf die Knie. Stemmte sich hoch. Ich spornte sie rufend an. Es half. Endlich stand T auf beiden Beinen. Schwankte, torkelte, triefte. Ging Schritt für Schritt auf mich zu. Und sank schließlich neben mir ins Gras. Ich umtanzte sie in grenzenloser Freude. Streckte meinen Po mit meiner unkontrolliert rudernden Rute in die Höhe, kniete quasi vor T. Ich spürte ihr Herz, das genauso schnell raste, wie das Wasser ins Tal. Wie meins. T starrte auf den flüchtenden Fluss. Und lachte. Was für eine elende Scheiße, sagte sie und konnte nicht aufhören zu lachen. Ich stoppte meinen Triumphtanz und sog dankbar T’s Erleichterung ein. Das war verdammt knapp, Puppy, sagte sie und umarmte mich. Haben wir großartig gemacht! Ein letztes Mal brüllte ich den Fluss an, dann wusch ich T das Gesicht, den Hals. Immer und immer wieder.
*
Wenn auf irgendeinen Zweibeiner je die Beschreibung wie ein begossener Pudel gepasst hat, dann auf T an diesem Nachmittag. Alles an ihr tropfte. Dazu quietschten ihre Lederschuhe bei jedem Schritt. T selber begann vor Kälte zu zittern, obwohl die Sonne schien, als wäre nichts passiert. Wir irrten eine Weile herum. Und dann meldete sich auf einmal T’s Instinkt aus dem Urlaubsmodus zurück zum Dienst und brachte uns in Sicherheit.
Unsere Rettung war ein Kiosk. In den Felsen gehauen. Als wir den erreichten, tat T, als wären wir normale Touristen und sie nicht eine Meerjungfrau auf Landgang. Neben dem Kiosk stand ein schwerer, schwarzer Geländewagen. Neben dem Geländewagen ein schlanker, älterer Zweibeiner. Er zog erstaunt die Augenbrauen hoch als er uns sah und sagte höflich: Grüezi. Ungefragt platzte T mit unserer Selbstrettung in letzter Sekunde raus. Eins muss man ihr ja lassen: Sie kann ein lebensgefährliches Abenteuer so souverän und dabei selbstironisch erzählen, als lese sie ein lächerlich simples Rezept für, sagen wir, Hundekuchen, vor.
Der Kiosk-Geländewagen-Zweibeiner drückte angemessene Bewunderung und staunendes Mitgefühl aus. Als T fragte, wie weit es denn zurück zu dem Ort sei, in dem unser Hotel war, sagte er was von fünf Kilometern. Das ist schon eine mittelgroße Hunderunde. T strich sich eine vorwitzige Schlange aus dem Gesicht, bedankte sich für diese genau genommen niederschmetternde Information und sang: Salü. Der Zweibeiner schüttelte mehrfach den Kopf. Vermutlich hatte er noch nie in seinem Leben einer so fürchterlich triefenden Touristin mit ihrem wischmoppnassen Hund ein vergleichbares Angebot gemacht. Nehmen Sie meinen Wagen. Sie können ihn mir wieder bringen, wenn Sie sich was Trockenes angezogen haben, hat er gesagt.
Die Augen von T wurden hell und jetzt schüttelte sie den Kopf, und der Zweibeiner nickte. T schüttelte erneut den Kopf. Der Zweibeiner nickte wieder. Mit einem Lächeln. Einem energischen Lächeln. T bot ihm ihren Personalausweis an. Als Pfand. Geld. Sogar ihre Kamera. Aber der Schweizer hat immer nur den Kopf geschüttelt. Da hat T dann endlich begriffen, dass der Zweibeiner keinen Scherz machen wollte. Sie hat den Schlüssel genommen, ich bin in den schwarzen Geländewagen gehüpft (der Kofferraum war mindestens so groß wie unsere Küche) und T tat so, als würde sie mich ständig in solchen Geschossen durch die Gegend kutschieren. Beweg dich bloß nicht, Milla, mach ja keinen Kratzer, sagte T und fuhr so langsam, wie ich es noch nie erlebt hatte, die Karre kostet ein Vermögen.
Und obwohl T mit dem fremden Vermögen durch die Kurven schlich, dauerte die Fahrt nicht mal lang genug, dass ich es mir gemütlich machen konnte. Geschweige denn, irgendwas zu zerkratzen. Im Hotel rubbelte T erst mich trocken, dann sich. Bemühte sogar einen Fön für mein Fell. Dann brachten wir dem netten Zweibeiner seinen Wagen zurück. Um anschließend Kurve um Kurve um Kurve zurück zu unserem Hotel zu traben.
Wenn T heute über unser Via Mala-Abenteuer am Hinterrhein sagt: Das war wirklich einfach nur unfassbar, dann meint sie diesen Schweizer, der uns sein Auto anvertraut hat. Mir dagegen sträuben sich immer noch die Nackenhaare – weil es der Tag war, an dem ich für schreckliche Momente gefürchtet habe, T für immer zu verlieren.