Ich spüre mein Herz kaum noch. Es schlägt so langsam und friedlich. Kein Vergleich zu dem wilden Wummern, als T und ich im Zelt Donner und Regen überstehen mussten. Oder wenn Silvester ist. Oder Autos am Filmset explodieren. Mein Herz pocht jetzt so sanft und sacht wie ein träger Schmetterling, der auf dem Sommerfliederstrauch sitzt.
Ich weiß, T erwartet nichts von mir. Sie soll aber wissen, dass ich weiß, dass sie mich nicht allein lässt. Nie. Selbst jetzt, wo ich so schwer auf meiner Wolke ruhe und nichts mehr will. Ich öffne meine Augen und sehe T’s Gesicht. Blicke ihr in die Augen. Lasse meine Lefze ein winziges bisschen zucken. Es gibt da diese Stelle an meinem Bauch, wenn T mich da krault, dann verzieht sich meine Schnauze. T sagt dann immer fröhlich: Milla grinst. T weiß genau wie ich, dass Hunde nicht grinsen. Wir lachen ja nicht mal. Jedenfalls nicht wie Zweibeiner. T hat mich nie ernsthaft vermenschlicht. Und wenn sie es im Überschwang doch mal tut – dann nur aus dem Grund, dass sie ihre Gefühle in Worte ausdrücken will.
Aber jetzt, in diesem wohlig weichen Harmoniemoment der tiefsten Ruhe, da würde ich gerne lachen können. Oder wenigstens grinsen. Um noch einmal das sorglose Glitzern in T’s Augen zu sehen. Nur damit ich weiß, dass es ihr gut geht. Dass T sieht und fühlt, dass ich glücklich bin. Dass mir nichts mehr fehlt. Dass ich nichts vermisse, nichts brauche. Nichts, außer T’s warme Hand. T streicht über mein Ohr. Ihre Fingerspitzen fahren genauso langsam wie mein Herz schlägt über mein flatterndes Auge. Ich gebe der sanften Berührung nach. Mein Blick auf T verschleiert, warme Dunkelheit macht sich in mir breit. Ich weiß, ich bin in Sicherheit. Alles ist gut.
Bilder taumeln an mir vorbei, tanzen durch das helle Licht. Mein letztes Weihnachten bei Öpa, mein letzter Geburtstag… Es war mein 13ter. T hat mir ein Schweineohr geschenkt. Groß und knackig. Und: Es war nicht eingepackt. Zum ersten Mal. Wie leicht es T mir doch an diesem Geburtstag gemacht hat. Ohne das übliche Geplänkel wer-befreit-das-Räucherknupser-vom-lästigen-Geschenkpapier durfte ich mir direkt nach der kurzen Morgen-Runde mein Präsent schmecken lassen. T hatte einen Termin. Ich war traurig und erleichtert gleichzeitig, als T mir das Versprechen abnahm, brav auf sie zu warten. Denn trotz der Tabletten, die mir T in jedes Futter mischte, hatte ich Schmerzen, war müde. T fuhr weg. Ich schlief auf dem Sofa. T kam nach Hause. Obwohl ich nicht in Bestform war, war ich bereit für den gemeinsamen Gang zur Bushaltestelle und zurück. Mehr hat mir T ja schon ewig nicht mehr abverlangt.
Wenn T keine Lust hat zu kochen, dann gehen wir zu Pizza-A. Ihr Geschäft ist kaum weiter weg als der Blumenladen, nur in die andere Richtung. Blöd ist, ich darf nicht rein zu Pizza-A. Vorschrift vom Gesundheitsamt, weil wir mit Lebensmitteln arbeiten, hat Pizza-A mir erklärt. Ein Hoch auf all’ die Vorschriften dieser Welt. Mir sind die egal, aber T will nicht, dass Pizza-A Ärger bekommt. Ich natürlich auch nicht. Deswegen stehe ich immer nur mit zwei Pfoten auf der untersten Treppenstufe. Manchmal sitzt Pizza-A auch selber auf den Stufen und sagt: Na, Puppylotte, alles klar?Dann streichelt sie mich und fragt, wo wir waren oder hinwollen oder was es Neues gibt. Seit Pizza-A und T sich nicht nur im Vorbeigehen grüßen, sondern auch ein bisschen miteinander reden, was es Neues gibt, wo wir waren oder wo wir hinwollen, schenkt mir Pizza-A hin und wieder ein Würstchen.
Normalerweise stehe ich also auf der Treppe, warte auf T und den Karton, den sie von Pizza-A bekommt. Ich darf den Karton dann nach Hause tragen. Eine große Herausforderung. Denn die braune Pappe duftet verführerisch. Und ist warm. Und schwer. T gibt mir nie was von dem ab, was so lecker riecht. Aber immerhin gibt’s zuhause Transportentschädigung. Je nach Tageszeit in Form einer Hundespur. Oder einer Kaustange. An Sonntagen eben auch mal ein Schweineohr.
An meinem 13ten Geburtstag, übrigens auch ein Sonntag, genau wie heute, war alles anders. Wir gingen nicht zur Bushaltestelle. Sondern direkt zu Pizza-A. Ich musste nicht vor der Tür auf den Stufen warten. Ich durfte in den Laden. Es roch so köstlich, dass meine Nase ziemlich überfordert war. Weil T weiß, dass es mir inzwischen unmöglich ist, von glatten Fliesen wieder aufzustehen, forderte sie an diesem Tag auch kein sitzvon mir. Stattdessen stand ich neben T. Da seid ihr ja. Ich hab’ schon auf euch gewartet, hat Pizza-A gesagt. Was seltsam war – denn Pizza-A wartet nur auf uns, wenn T vorher bei ihr anruft und sagt: Einmal Hawaii ohne Schinken, dafür mit doppelt Ananas, Pilzen und Paprika.
Gemeinsam sahen wir Pizza-A nach, die in dem Raum verschwand, aus dem der warme Duft von Käse und Würstchen kroch. Gleich darauf kam Pizza-A mit einem Teller zurück. Den stellte sie mir vor die Schnauze.Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Puppy, hat sie gesagt. Ich traute meinen Augen kaum. Ein köstlicher Würstchenberg auf einem weißen Teller. Garniert mit einem Büschel Petersilie. Neben den Teller stellte Pizza-A dann noch eine Kerze aus Plastik, die gelb geleuchtet und gesungen hat.
T war gerührt. Sehr. Ich wusste nicht, welche Größe für Milla die beste ist, hat Pizza-A gesagt. Deswegen hatte sie drei Würstchen in kleine, mittelgroße und große Stücke geschnitten. T bekam salzige Augen und sagte: Das ist so lieb! Vielen, vielen Dank!Pizza-A hat nur ein bisschen mit der Hand gewackelt. Und sich gefreut, dass T sich so freut.
T hat auf den Würstchenbergteller gezeigt und gesagt: Für dich, Puppy.Das wusste ich natürlich längst. Aber selbstverständlich habe ich höflich gewartet, bis es ganz offiziell verkündet wurde. Vorsichtig ließ ich mich auf den Bauch sinken, ignorierte den stechenden Schmerz in den Hinterläufen und das garstige Ziehen in meinem Rücken, und tat, was ich so auch noch nie gemacht hatte: Ich kaute die Würstchenstücke im Liegen. Ich hoffe, drei sind ok, ist ja schließlich Geburtstag, hat Pizza-A noch zu T gesagt. Normalerweise ist ja nach einem Würstchen Schluss. Zwei gibt es nur selten. Aber drei auf einmal? Und dann noch so extrem lange? T hat über die drei Riesenlecker in appetitlichen Häppchen nicht geschimpft, sondern gelächelt. Stand mit Pizza-A da und sah mir zu. Einer von Pizza-A’s Helfern hat mit seinem Handy ein Foto von mir vor dem Teller gemacht. Das hat Pizza-A gerahmt und T zu Weihnachten geschenkt. Es steht auf der Anrichte unter der Treppe und T schaut es manchmal an und sagt leise: Ach, mein Baby. Schon 13.
Meine Geburtstagswürstchen habe ich mehr als genossen. Für meine Verhältnisse beinahe vornehm, also langsam. Um zu demonstrieren, wie außerordentlich vorzüglich es war, leckte ich den Teller gründlich rund um die Petersilie ab. Herrlich. Doch dann passierte es: Ich konnte nicht aufstehen. Der Boden war zu glatt. Und der Schmerz ließ sich nicht länger ignorieren oder durch Würstchen ablenken. Ich blieb liegen und fürchtete mich vor T’s Worten: Na, los, auf geht’s. Hat T aber nicht gesagt. Sondern: Na, komm, ich helfe dir. Dabei hat sie mir ihre Hände unter den Bauch geschoben und mich vorsichtig hochgezogen. Dann war für einen Moment dieses Schweigen. Ich spürte den mitfühlenden Blick von Pizza-A. Der Zweibeiner mit der Kamera roch verlegen.
Als ich stand, hat T Pizza-A umarmt – und wir sind ohne warmen Karton nach Hause. Ich frage mich gerade, ob ich mich eigentlich bei Pizza-A für ihr großzügiges Geschenk bedankt habe?