12:25:31 – Weihnachtszeit

Kurz nach meinem Geburtstag steht immer das nächste kulinarische Highlight im Kalender. Gänse-Essen bei Freundin P in Berlin. Was für ein Spektakel! Onkel A und T bauen viele Tische und Bänke auf. P rennt im Haus die Treppen rauf und runter. Weil in ihrem Backofen nur eine von den vier Gänsen braten kann. Also brutzeln die anderen Viecher in den Öfen ihrer Nachbarn. Um mich herum nur hektischer Trubel. Aber einer muss ja Ruhe in diesem geordneten Chaos verbreiten. Und genau das ist mein Job an diesen Abenden. Ich liege in der Küche und kontrolliere, dass aus den breiten weißen Fladen viele gleichgroße Kugeln geformt und in riesige Töpfe gelegt, ganz viele Gläser mit rotem Kraut geöffnet und in einen anderen riesigen Topf geschüttet werden.

Irgendwann ist der köstlichste Bratenduft der Welt überall. Das ist der Moment, wo die Unruhe bei den Zweibeinern ihren Höhepunkt erreicht. Es klingelt in einer Tour. Ich habe mir schnell abgewöhnt, jeden Gast freundlich zu begrüßen. Denn es kommen viele Gäste. Sehr viele. So viele, dass nicht alle einen Sitzplatz abbekommen. Wenn niemand mehr fehlt, beginnt das Schlange stehen. Alle stehen mit ihren Tellern da, während T die Gänse auseinander schneidet. Onkel A und Herr H verteilen das saftige Fleisch und die runden Klöße und das dampfende Kraut und dicke Soße auf die Teller. Wenn die ersten schon alles aufgegessen haben, stehen die letzten immer noch an. Aber es ist immer genug für alle da.

Wenn endlich jeder etwas bekommen hat, sitzt T alleine in der Küche und ich beobachte, wie sie mindestens vier runde Klöße und drei dicke Kellen Kraut auf ihren Teller schaufelt. Ich liege neben T und warte – äußerlich – geduldig auf das Ende der Zweibeinerfütterung. Denn wenn alle satt sind, fällt immer das eine oder andere Stückchen Gänsebraten für mich ab. Sogar T steckt mir Gänsebratenfitzelchen zu. Irgendwann ziehe ich in den Flur um, der voller Jacken und Mäntel ist und hoffe, dass wir bald nach Hause fahren. Denn während ich mich normalerweise nach jedem Fressen erst mal ins Körbchen verziehe, dreht P die Musik auf und alle fangen an zu tanzen. Obwohl es wirklich laut und anstrengend für mich ist, bin ich immer gerne bei P’s jährlicher Gänseparty dabei.

Im letzten Jahr hat T mich zum ersten Mal nicht mitgenommen. Es sind über 40 Leute da, das ist viel zu stressig und zu eng, hat T gesagt. Wir beide wissen, es waren immer über 40 Leute da und es war immer eng und stressig. Und wir wissen, es ist wegen der vielen Stufen hoch zu P’s Wohnung. Die schaffe ich einfach nicht mehr.

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Auch bei Öpa muss ich Stufen erklimmen. Aber nicht viele. Deswegen nimmt mich T immer noch mit. Nach der Einladung bei P dauert es nämlich nicht mehr lange, bis wir zu Öpa und seiner M fahren. Manchmal liegt Schnee und dann dauert die Fahrt zu Öpa und seiner M sehr lange. Die ersten Male war ich sehr aufgeregt und neugierig, weil ich ja nicht wusste, was passieren würde. Inzwischen habe ich die Ruhe weg und weiß, dass mein Hauptjob darin besteht, niemandem im Wege zu liegen.

Es beginnt damit, dass Öpa mir ein paar Kartoffeln schenkt und mich ausgiebig streichelt und dabei immer sagt: Ja, mein Hund. Du bist mein Bester.Öpa riecht immer sehr fröhlich, wenn er mich sieht und ich wasche ihm mit großer Begeisterung die Hand. Dann sitzt Öpa auf seinem Sofaplatz und ich lege mich zu seinen Füßen. Gemeinsam beobachten wir, wie M’s Sohn H einen großen Tannenbaum von der Terrasse ins Wohnzimmer zerrt. Ihn auf einen kleinen Tisch stellt, da, wo sonst immer der Lesesessel von M steht. Wenn der Tannenbaum garantiert nicht mehr umfallen kann, hängt T rote und durchsichtige Kugeln und rote Kerzen in die Zweige. Da döse ich meist schon. Aber Öpa beobachtet, ob T es auch richtig macht. Da muss noch eine hin, sagt er manchmal. Die ersten Male hat er T noch geholfen und kleine rote Bänder an die Kugel gebunden. Letztes Weihnachten hat er nur noch schweigend zugeguckt.

Wenn alles fertig ist, machen T und Öpa und ich eine kleine Hunderunde durch den Park. Aber genau genommen hat niemand von uns wirklich Lust. Zu groß ist die Angst, etwas zu verpassen. Sind wir zurück, bindet mir T meine rote Schleife um. Öpas M hat dann schon den Tisch im Wohnzimmer gedeckt. Dann kommen C und ihre Familie. Alle freuen und umarmen sich und ich werde ausgiebig von C und ihrer Familie gestreichelt. Dabei verrutscht meine Schleife oft – nur leider fällt sie nie ab. Alle trinken erst mal aus schmalen Gläsern und dann spielen Öpa und T zusammen auf dem Klavier; ich lasse es im Flur liegend über mich ergehen. Öpas M, H, T’s Schwester C und deren Familie sitzen im Wohnzimmer vor und neben dem geschmückten Tannenbaum und hören zu. Aber ich denke, alle warten nur darauf, dass sie sich endlich an den Tisch setzen und essen können.

Wie bei P gibt es auch bei Öpa und seiner M immer Fleisch, runde Kugeln und rotes Kraut. Vorher gibt es noch Suppe und hinterher noch köstliches Irgendwas in kleinen Schüsseln, die ich alle säubern darf. Nach dem Essen beginnt dann die große Schlacht unterm Tannenbaum. Da wartet auf jeden eine mehr oder weniger großer Geschenkehaufen. Früher, als C’s Kinder noch klein war, ging es ziemlich schnell, dass der Teppich vor lauter zerrissenem Papier nicht mehr zu sehen war und ich muste aufpassen, nicht unter dem bunten Knisterpapier zu verschwinden.

Wenn alle ihre Geschenke ausgepackt und bewundert haben, bekomme ich meine Präsente – köstliche Kekse, Kaustangen oder auch einen Knochen. Damit verziehe ich mich in den Flur. Die Familie sitzt zusammen und redet und lacht – worüber, bekomme ich nicht mehr mit. Ich muss mich schließlich um meine eigenen Geschenke kümmern.