Hundeurlaub in der Schweiz

12:19:26 – Wasserungeheuer

 T fand eine etwas ruhigere Stelle, setzte sich auf einen Baumstamm, gab mir eine Kaustange und sich selber eine Banane. Schweigend aßen wir, während das Wasser uns ignorierend in atemloser Eile lärmend ins Tal jagte. T murmelte keine staunenden Bewunderungssätze mehr, sondern fotografierte stumm. Ich legte mich neben sie und ruhte mich aus. Spürte die Kraft des Wassers, roch seine ungestüme Wildheit und konnte mich an nichts erinnern, was mich je so eingeschüchtert und gleichzeitig fasziniert hatte. T ließ schließlich die Kamera sinken, atmete ein paar Mal tief ein und aus und murmelte jetzt etwas von Willkür, Trotz, und Auflehnung der Natur.

Nun waren wir zwar in der berühmten Via Mala Schlucht. Aber bleiben wollten wir hier nicht. Wir mussten also wieder hoch. Aber T geht genauso ungern wie ich zweimal den gleichen Weg. Nur wenn es sich überhaupt gar nicht vermeiden lässt (Ich sage nur: Lieblingsblumenbluse). Doch es gab weit und breit keine Brücke. Deswegen traf T eine ihrer typisch unüberlegten Entscheidungen. Ok, Milla. Dann mal los. Müssen wir eben waten, sagte sie. Das widersprach sich: los und warten. T hatte definitiv warten gesagt. Aber worauf? Auf diesen Moses? Der wäre ja wohl der Einzige, der dieses reißende Ungetüm in seiner Bewegung erstarren lassen oder es teilen könnte. Oder sollte ich warten, bis der Fluss ruhig und ungefährlich vor sich hinplätscherte? Oder gar versiegte? Hechelnd vor Nervosität setzte ich mich auf, rutschte einige Zentimeter vor und ließ T nicht aus den Augen.

Hundeurlaub in der Schweiz

Da begriff ich plötzlich, dass waten und warten zwar (fast) gleich klingen, aber eben vollkommen verschiedenes meinen. Denn T ging zielstrebig und plötzlich vollkommen unerschrocken auf das Wasserungeheuer zu. Ich roch ihren Übermut. Sehr energisch, lautstark und erfolglos protestierte ich gegen das Rauschen und T’s Plan an. Umsonst. Wenn T sich was in den Kopf gesetzt hat, hält sie nichts und niemand davon ab. Nicht mal der gesunde Zweibeinerverstand – von dem T durchaus eine größere Portion gebrauchen könnte.

Auf geht’s, Puppy, sagte sie. Schnallte ihre Bauchtasche ab und hielt sie weit über den Kopf. Stieg auf einen Steinbrocken. Schaute, überlegte kurz und und machte einen Schritt. Und noch einen und dann noch einen. Ein irritierendes Bild: T lief über das Wasser. Nein, ich bin nicht das, was Zweibeiner Bibelfest nennen. Aber natürlich kenne ich einige Geschichten. Und die fielen mir in dem Moment ein und ich dachte: Wenn T über Wasser laufen kann, wieso kann sie es dann nicht auch teilen? T drehte sich um, ihre Augen glitzerten. Sie rief: Komm schon, Milla. Na, los, sei kein Feigling.

Moment! Ich? Ein Feigling? Wer hatte noch mal unerschrocken den Fremden aus K’s Garten verjagt? Wer M mutig vor Einbrechern beschützt? Wer furchtlos den übel riechenden und bedrohlichen Betrunkenen auf dem S-Bahnhof Yorkstrasse verknurrt, als er auf T zuwankte und sie anlallte? Hochgradig beunruhigt ließ ich T nicht aus den Augen. Sie eroberte schon wieder einen Stein. Jetzt stand sie schon in der Mitte des Flusses. Ich könnte schwören, dass ihm das nicht gefiel. Dass ein Zweibeiner ihn furchtlos überwinden wollte – aus eigener Kraft, ohne Hilfsmittel. Auch deswegen zögerte ich immer noch, T zu folgen. Aus Respekt vor diesem kraftvollen Getöse.

Ich liebe T. Ich stelle ihre Entscheidungen nie in Frage. Selbst wenn ich sie nicht verstehe; wenn sie mich ängstigen. Ich vertraue T. Sie weiß, was richtig ist. Ich wollte unter gar keinen Umständen alleine zurückbleiben, ohne sie. Aber ich fürchtete mich. Ja, an diesem reißenden Fluss war ich ein Feigling. Und ich wäre mit erleichterter Begeisterung den gleichen Weg zurückgegangen, den wir gekommen waren. Aber es gab für T kein Zurück. Und für mich keine andere Alternative, als ihr zu folgen. Weil ich T immer folgen werde. Egal wohin.

*

Ich schwöre – ich habe T nur eine Sekunde nicht angesehen. Weil ich die rechte Vorderpfote ins Wasser tauchte, um herauszufinden, wie tief und wie kalt es war. Nicht sehr tief, dafür kalt. Winterkalt. Ich zog gerade die zweite Vorderpfote nach, als ich T’s Schrei hörte. Hoch und schrill übertönte er für einen Moment sogar das Wasserrauschen. Einen Atemzug lang sah T so aus, als würde sie auf dem Wasser tanzen. Dann verschlang das brüllende Ungeheuer sie. T versank! Ertrank!! Augenblicklich stürmte ich los. Gegen meinen Angstinstinkt. Alles was ich wusste, war, ich muss T retten. Und dann sah ich plötzlich – nur noch ihre schwarze Bauchtasche.

Copyright Autorin Tina Gorf

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