Urlaub mit Hund in der Schweiz Wandern in der Schweiz

12:19:00 – Felsenschluchtdrama

Das Beruhigende am Alltag ist seine Routine. Man weiß, was einen erwartet. Der Rhythmus ist vorgegeben, kleine Abweichungen lassen sich problemlos integrieren. Aufregung, meist nur kurzfristig und ohne große Bedeutung, verursacht höchstens die Erkenntnis, dass mal wieder Sonntag ist und Blumen-A und ihre Kekse deswegen nicht auf mich warten. Aber selbst Sonntage gehören unterm Strich zur Alltagsroutine. Bei unserer Schweizreise sah das anders aus. Unsere einzige Routine war, dass es keine gab. Überraschenderweise hat mir das gefallen.

Vor allem, weil sich die Landschaft dauernd veränderte. Und mit ihr die Luft. Die vibrierte, summte, schwirrte, flimmerte, pulsierte. Sie roch sauber und klar. Manchmal zog am Morgen der Duft von feinem Nebel an uns vorbei. Manchmal war es ein würziger Hauch, den die Bäume und Wiesen verströmten. Abenteuer in all ihren Facetten riechen blumigsamtig. Nur der scharfe Geruch der Gefahr, der uns an diesem Tag auflauerte, der versteckte sich vor mir.Urlaub mit Huendin Milla

Die letzten Stunden, bevor wir am nächsten Morgen im ICE zurück in unsere Alltagsroutine rauschen würden. T wollte unbedingt etwas ganz Besonderes erleben an unserem letzten Tag in der Schweiz. Etwas Einmaliges. Was ich nicht verstand – bis dahin war doch alles besonders und einmalig gewesen. Ich schwieg dazu, saß neben T, während die unsere Hotel-Zweibeinerin um ein schönes Wanderziel bat. Die Zweibeinerin mit dem weichen Gesicht, Augen wie der Sommerhimmel und Haaren wie Schiefer, freute sich bestimmt, dass T sich nichts aus Reiseführern macht. So konnte sie uns ihren besten Tipp singen (alle Schweizer singen, statt zu sprechen. Nicht nur Hotel-Zweibeiner). In ihrem Lied klang zusätzlich noch Stolz mit: Die Via Mala ist unser Naturmonument. Es hat Felswände, bis zu 300 Meter hoch. Aber geben Sie gut acht, es hat da überall gefährliche Strudeltöpfe und rasende Fluten. Die angebotene Wanderkarte schlug T freundlich aus. Sie hat behauptet, sie hätte sich den Weg eingeprägt. Und der begann direkt vor unserem Hotel.

Mit mir an der Leine, ihrer schwarzen Bauchtasche mit großer Kamera, ein paar Bananen und Traubenzucker für sich und Kaustangen für mich, war T zuversichtlich, innerhalb von einer mittelgroßen Hunderunde an der berühmten Felsenschlucht zu sein. War aber nicht so. Wir nahmen Kurve um Kurve um Kurve und alles was wir sahen, war die nächste Kurve. Und noch eine. Da stöhnte T dann mit einem Frusthauch: Vielleicht hätte ich doch die Wanderkarte mitnehmen sollen. Hatte sie aber nicht. Weil sie nämlich außer Postkarten keine Karten lesen kann. Und deswegen behauptet, sie verlasse sich schon ihr ganzes Leben lang auf ihren Instinkt. Was prinzipiell ja in Ordnung ist. Aber ihr Instinkt urlaubte an diesem Tag selber irgendwo, vermutlich nicht mal in der Schweiz. Weswegen wir über harten Asphalt trabten, statt über weiche Waldwege zu springen.

Urlaub mit Hund in der Schweiz Wandern in der Schweiz

Es war zwar kaum Verkehr, trotzdem ließ mich T nicht von der Leine. Was ein bisschen meinen Stolz beleidigte. Schließlich weiß ich, dass ich immer rechts von T, direkt am Straßenrand, besser noch auf dem Grünstreifen, gehen muss. Alle meine Überredungsversuche, mir meine überflüssige Fessel abzunehmen, scheiterten an T’s Angst, mir könne etwas passieren.

Der Teer war nicht besonders heiß, aber meine Pfoten hatten sich in den vergangenen 10 Tagen so an natürlichen Untergrund gewöhnt, dass es wenig Freude machte, neben T die Straße entlang zu trotten. Um mich abzulenken, verlor ich mich in der Vorstellung kraftvoll Berge zu erstürmen, mich schnüffelnd durch Wald oder über Wiesen und Almen zu träumen, aus einem klaren Bach zu saufen und vielleicht sogar ein kurzes Bad zu nehmen. Jammern hilft nix, Milla, sagte T (wer jammerte denn hier?!) und ich schüttelte wiederholt den Kopf: Irgendein aufdringliches Fliegtier hatte mich zum Transportmittel degradiert. Aber ätzend ist es gerade schon, setzte T noch hinzu. Ich staunte, wie fröhlich sie trotzdem klang. Und weiß inzwischen: Am Ende eines Urlaubs gibt’s nichts mehr, was T zu einer ihrer berühmten Wutexplosionen treiben kann. Nicht mal Züge, die zu spät oder gar nicht kommen.

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Viele weitere Kurven später dann endlich doch noch die Erlösung: Ein Weg zweigte rechts von der Straße ab. Ein echter Wanderweg. Nicht nur ein von vielen Zweibeinern erschaffener Trampelpfad. Via Mala – drei Kilometer, las T von dem Holzschild ab und im nächsten Moment war ich endlich frei und stürmte los. Vorsichtig!, rief T noch und ich galoppierte mit schlackernden Ohren den Weg runter. Ich bin immer, immer, IMMER vorsichtig!

Via Mala mit Hund

Deswegen blieb ich auch nach wenigen Metern stehen, den Abgrund vor Pfoten. Wartete auf T. Und dann bestaunten wir gemeinsam (ich mit zart gesträubten Nackenhaaren) das Schauspiel weit, weit unter uns: Gigantische graue Wassermassen mit weißen Häubchen tosten in ein zerklüftetes Tal. Ich blickte eingeschüchtert zu T, die Naturüberraschungen aber immer erst mal mit der Kamera festhalten muss, bevor sie deren An- oder Ausblick genießen kann. Das Wasser sprang und gischte so laut, dass ich T’s Worte nur sehr leise hörte: Wahnsinn, Hölle, fantastisch, unfassbar beeindruckend und einfach nur unglaublich variierte sie in unterschiedlicher Reihenfolge.

Ja, es war beeindruckend. Sehr beeindruckend. Und ehrlich gesagt, auch ziemlich beängstigend. Deshalb lief ich jetzt auch freiwillig neben T, links, statt rechts, wo die schroffen Felsen abgebrochen in die Tiefe zeigten. Der Weg war steil und an manchen Stellen rutschig. Trittfeste T. Dank ihrer Lederschuhe war sie ausnahmsweise schneller als ich. Was mich aber nicht anspornte T zu überholen. Mein Respekt vor dem unebenen Weg verflog erst, als aus ihm plötzlich graue Treppenstufen wuchsen. Die allerdings zu schmal waren, um die Führung zu übernehmen.

Je weiter wir nach unten stiegen, desto nasser wurde mein Fell. Unendlich viele, winzige Tropfen tanzten durch die Luft. Ich schmeckte die kalte Feuchtigkeit. Irgendwann erreichten wir die Talsohle. Der Lärm war ohrenbetäubend. Das Wasser raste brüllend an uns vorbei, hüpfte über kleine, sprang über große Steine, brauste rauschend durch das felsige Flussbett. Wir konnten weder den Beginn noch das Ende sehen.

Urlaub mit Hund ViaMala

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