Mit Hündin Milla in der Schweiz

12:18:30 – Gletschersuche

Wir machten immer wieder Rast an dem hellen Bach, dem wir die ganze Zeit folgten, schlürften sein unglaublich köstliches und unglaublich kaltes Wasser und wunderten uns zwischendurch über das Bergphänomen. So ein Berg steht riesig da. Berührt die Wolken. Schaut auf einen herunter. Schweigt. Und wartet. Aber egal, wie lange man ihm entgegenrennt – er wächst immer weiter in den Himmel und kommt gleichzeitig kein Stück näher.

Weil wir schon so lange gingen und es so warm war, zog T ihre Lieblingsblumenbluse über ihrem T-Shirt aus und hängte sie über ihre Bauchtasche. Um irgendwann zu bemerken, dass sie ihre Lieblingsblumenbluse irgendwo verloren hatte. Da ich die meiste Zeit vor T herlief – schließlich musste ich ja den Weg erkunden, nach Gefahren Ausschau halten, um T warnen zu können -, bemerkte ich den herben Verlust nicht. Als T mich rief, hatte sich mir gerade ein unbekannter, sehr verführerischer Duft in die Nase geschlängelt. T klang unglücklich: Milla, wir müssen zurück. Meine Lieblingsblumenbluse ist weg.

Mit Hündin Milla in der Schweiz

So sind Zweibeiner: Sie können nicht akzeptieren, dass nichts ewig dauert, nichts für immer bleibt. T hatte ihre Lieblingsblumenbluse in ihrem ersten Jahr in Berlin gekauft. Das war über 15 Jahre her. Und jetzt hatte sich die Lieblingsblumenbluse eben verabschiedet. Das Wort zurück habe ich noch nie sonderlich gemocht. Bedeutet es doch jedes Mal Schluss, Aus und vorbei. Und immer dann, wenn es am schönsten ist. Trotz meiner Enttäuschung beteiligte ich mich natürlich an der Suche. Der Berg schaute uns gleichgültig hinterher und schrumpfte ein bisschen. T hatte dafür aber keinen Blick, sie seufzte nur: Warum kannst du eigentlich keine Fährten lesen, Milla? Die Antwort liegt ja wohl auf der Pfote: T hat es mir nie beigebracht. Hätte sie, dann wäre ich selbstverständlich zurückgesprintet, hätte ihre Lieblingsblumenbluse erschnüffelt, apportiert – und die Angelegenheit wäre ruckzuck erledigt gewesen. Und wir wären dann weiter Richtung Gletscher gelaufen. Aber ich wusste nun mal nicht, wie man die Fährte einer Lieblingsblumenbluse aufnimmt. Weiß ich bis heute nicht. Natürlich fanden wir den Ausreißer. Wir waren schließlich allein auf der Welt. T war überglücklich und ich muss gestehen: Vielleicht bleibt das eine oder andere doch für immer. Die Lieblingsblumenbluse hängt jedenfalls immer noch in T’s Kleiderschrank.

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Ein zweites Zurück gab es nicht. Bis heute kann ich nicht von mir behaupten, je gegletschert, geschweige denn, ein solches Naturereignis auch nur von Ferne gesehen zu haben. Als wir an diesem Abend satt und müde und trotz gescheiterter Gipfelmission in unserem Hotelbett lagen (ich bekam immer die linke Seite), murmelte T: So ein Gletscher ist sowieso nichts für deine Pfoten. Viel zu eisig. Morgen fahren wir nach Graubünden. Hätte ich gewusst, was uns da erwartete, ich hätte energisch protestiert. So aber schnaufte ich nur zufrieden und schnarchte schon, bevor T die Dunkelheit in unser Hotelzimmer ließ.

 

Roman Millas Blick

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