Autorin Tina Gorf

12:14:00 – Showdownlärm

Wahr ist übrigens auch, dass das Filmgeschäft seine ganz eigenen Gesetze hat. Ist man beispielsweise zufällig mit einer berühmten Hollywoodschauspielerin befreundet, rollt plötzlich alles. Der rote Teppich. Die Spiele. Die Laufbahn. Die Augen von Kollegen.

Übermütig, wie T immer dann ist, wenn sie nicht gerade ihrem von Onkel A verliehenen Titel als Dramaqueen alle Ehre macht, hatte sie mir schon am ersten Tag in Bianca-Land versprochen: Milla-Darling, ich bring dich ganz groß raus beim Fernsehen. Weil ich T ernst nehme und sie ihre Versprechen ja auch immer gehalten hat, übte ich mich in dem, was T nicht hat: Geduld. Die Wochen und Monate vergingen, T sprach nicht mehr von meiner Karriere vor der Fernsehkamera. Sie war viel zu beschäftigt mit unserem neuen, aufregenden Leben. (Vielleicht hätte ich wachsamer sein sollen: T hatte mich vorher noch NIE Darling genannt.) Abgesehen davon, ich wusste nicht, wie mir so eine TV-Karriere schmecken könnte. Deswegen war ich auch nicht wild drauf.

Was mir aber definitiv gefiel, war die Dorfstruktur im Storydepartment. Jeder kennt jeden, jeder weiß alles über jeden. Gut, es gibt auch ein paar Geheimnisse. Aber unsere Begegnung mit Charlize Theron hatte Buschfeuerausmaße. Kaum hatte sich die Geschichte mit ihr rumgesprochen (ich habe bis heute Spöten in Verdacht), wurde der Alltag von T und mir noch ein bisschen bunter, hektischer und lauter als er sowieso schon war. Vermutlich lag es aber einfach daran, dass das Bianca-Happy-End zum Greifen nah war.

Autorin Tina Gorf

Ich erinnere mich vor allem an die Einladung zur finalen Explosion auf einem Fabrikgelände: quietschende Reifen, brennende Autos, ohrenbetäubender Krach. Zwei Tote. (Natürlich starben und sterben die Bösen nur vor der Kamera. Und sind in Wahrheit auch gar nicht böse. Das noch mal als Anmerkung in Sachen Realität und Fiktion. Das komplette Ausmaß dieser verwirrenden Unterscheidung habe ich aber erst später begriffen.) Es war ein wirklich spektakulärer, rasend-feurig-explosiver Showdown. Alles roch nach Gefahr, mein Fell nach Ruß und T nach Aufregung, Stolz und uneingeschränkter Begeisterung.

Seit diesem Drehtag fürchte ich mich tierisch vor Krach und Gedröhne. Sobald es nur leise grollt, werde ich nervös. Bei Blitz und Donner beginnt das große Zittern, Beben und Hecheln; peitscht mich der panische Wunsch, mich im allertiefsten Erdloch verkriechen zu können. Und der überwältigende Drang auf T’s Schoß Schutz zu finden. Noch schlimmer als eine Autoexplosion ist allerdings Gewitter. Und am allerallerallerschlimmsten ist Silvester.

Eine der übelsten Traditionen überhaupt. Ausnahmslos alle Zweibeiner drehen durch. Wieso jubeln sie jeder einzelnen stinkigen, krachenden Rakete zu, die zischend durch die Nachtluft heult? Alles riecht nach Gefahr. Nach Zerstörung. Man kann vor lauter Nebel nichts mehr sehen. Atmen ist kaum möglich, ohne Angst haben zu müssen, jeden Moment zu ersticken. Wieso also müssen es Zweibeiner so furchtbar krachen lassen? Alles nur für Onkel A, der am 1. eines jeden neuen Jahres Geburtstag hat? Bei ihm feiern wir jedenfalls immer. Blöderweise wohnt er in Berlin. Onkel A’s Geburtstag = Silvester = Hauptstadt = mein persönliches Armageddon.

Unabhängig davon mag ich Partys nicht, die abends beginnen und erst ewig nach Mitternacht enden. Schon gar nicht, wenn man nicht gehen kann, obwohl man müde ist. Sich nicht traut zu pinkeln oder gar ein Häufchen zu machen. Meine Innereien sind an diesem Tag immer ein schmerzendes Knäul, mein Herz rast und alles in mir rumort in wilder Aufruhr. Weil sich nirgends ein ruhiges, ein sicheres, leises, gemütliches Plätzchen findet.

Andererseits will ich natürlich kein Spielverderber sein. Und bin unendlich dankbar, dass T mich mitnimmt, statt mich dem Schrecken der Nacht alleine auszusetzen. Deswegen galoppiere ich mit vorgetäuschter Fröhlichkeit und angestrengter Neugierde also immer am 31. Dezember in den fünften Altbau-Stock und halte es irgendwie aus, wenn irgendwann die Welt lärmend untergeht. Inzwischen weiß T, dass sie mich an diesem Tag weder füttern noch mir was zu trinken anbieten muss, geschweige denn mich zum Gang um den Block überreden kann.

Dieser Silvester-Unsinn ist erst einigermaßen erträglich, seit T mir ab nachmittags im Zwei-Stunden-Takt verschiedene weiße kleine Kügelchen in die Lefzen schiebt. Ein Hoch auf die Wunder der alternativen Heilmedizin. Dank der winzigen Zuckerdinger verschlafe ich das dämliche Spektakel inzwischen unterm köstlich duftenden Küchenbuffet, vernachlässige dabei meinen Staubsaugerjob und vergesse sogar, Onkel A anständig zum Geburtstag zu gratulieren.Uhr - Abenteuer einer Hündin

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