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12:13:29 – Hollywoodfreundin

Seit wir in unserem Haus leben, habe ich eine Menge gelernt. Auch ausländisch. Dabei war es immer so: Schaltet T den Fernseher an, um ihre Serien in Englisch zu gucken, schalte ich ab. Aber offensichtlich lerne ich im Schlaf. Inzwischen klingt englisch für mich nicht mehr ausländischer als deutsch. Das Einzige, was mich anfänglich immer sofort hellwach sein ließ, war, wenn sich in der Flimmerkiste ein Vierbeinerkumpel zu Wort meldete. Dann horchte ich augenblicklich auf und wollte antworten. T hat jedes Mal den Kopf geschüttelt und meine Schnauze mit einer Hand verschlossen: Der ist doch nicht echt.

Lektion gelernt: Zweibeiner unterscheiden zwischen echt und unecht. Warum auch immer. Wer will, wer kann schon wissen, was Realität und was Fiktion ist? Was wahr und was ausgedacht ist? Es sollte sich doch inzwischen rumgesprochen haben, dass es keine Wahrheit gibt. Keine wahre Wahrheit. Zumindest keine einzige Wahrheit. Es gibt doch immer mehrere. Bis auf die Sache Charlize Theron.

*

Charlize Theron, das behaupten T und Onkel A, ist berühmt. Sehr berühmt. Sehr talentiert. Sehr reich. Über das sehr könnte man natürlich streiten. Aber sie ist eine Hollywood-Schauspielerin. Soviel zu den Fakten, die genau genommen die Wahrheit sind. Die andere Wahrheit ist, dass wir drei – T, Onkel A und ich – Charlize Theron toll finden.

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Nach einem, wie T ihn mit müder Zufriedenheit nannte, produktiv-kreativem Tag, verspürte ich einen enormen Bewegungsdrang. T leider nicht so. Sie wollte nach Hause, ohne meinen roten Ring noch ein paar Mal fliegen zu lassen. Sie sprach mit einem Kollegen, diskutierte über eine frisch geplottete Storyline und ignorierte meine Spielaufforderung. Da entdeckte ich diese schwarzhaarige Zweibeinerin in einem sehr engen, schwarzen, glänzenden Anzug, der ähnlich roch wie mein roter Ring. Mir war sofort klar, dass die Zweibeinerin nur darauf wartete, dass sich jemand um sie kümmerte. Ganz allein und einsam stand sie da auf dem Rasen. Ihr war genauso langweilig wie mir. Ich war ganz sicher. Als aufmerksamer und wohlerzogener Hund ist es nicht nur meine Pflicht, einen einsamen, gelangweilten Zweibeiner etwas abzulenken, sondern auch eine meiner leichtesten Übungen.

Also trug ich meinen Ring zu der einsamen Zweibeinerin und legte ihr mein Lieblingsspielzeug in unaufdringlichem, aber unübersehbaren Abstand vor die Füße. Ich hatte mich nicht getäuscht. Die Zweibeinerin, die so wunderbar roch, nahm Blickkontakt auf. Hello, beauty you, hat sie gesagt. Mit einer sanften Stimme. Hell und klar. Sie klang sehr erfreut. Ich hatte mich nicht getäuscht. Blickte in ein zartes Gesicht, umrahmt von kurzem, schwarzem Haar, das blond roch, und schaute dann sehr konzentriert auf den Ring. Hob die Pfote. Und wartete. Viele Zweibeiner reagieren darauf entweder gar nicht oder irritiert. Oder unsicher. Manchmal auch ärgerlich. Viele machen einen Schritt zurück. Oder drehen sich um.

Nicht so die Zweibeinerin im schwarzglänzenden Gummianzug. Mit einer sehr ruhigen, aber bestimmten und selbstbewussten Bewegung beugte sie sich zu meinem Ring und hob ihn auf. Sofort schoss mein Kopf in die Höhe. Ich begann ein bisschen zu hecheln, nicht zu doll, um meine neue Spielgefährtin nicht zu erschrecken. Ich fixierte den Ring. Stellte die andere Pfote ab und begann dann immer schneller von einer auf die andere Pfote zu tänzeln, um klar zu machen: Bereit, wenn du es bist. Und Charlize Theron, von der ich damals weder wusste, dass sie so hieß, noch, dass sie eine talentierte und reiche und berühmte Hollywoodschauspielerin ist, lachte wie ein Glöckchen. Im nächsten Moment flog mein roter Ring in einem perfekten Bogen über den Rasen. Vor Begeisterung perlte mein tiefstes Beute-Bellen aus der Kehle. Ich machte eine wilde Kehrtwende und rannte los. Schnappte den Ring in der Luft und rannte zurück zu der begnadeten Werferin. Hielt ihr den Ring höflich hin und Charlize Theron sang: Again? Mein kleines Köterhirn übersetzte es problemlos in T’s Frage: Noch mal? Again! Unbedingt! Also stellte ich mich wieder in Position: Pfote erhoben, Blick auf den Ring, tänzeln, los. So ging das ein paar Mal. Ein herrlicher Arbeitstagsabschluss.

Leider hatte T inzwischen bemerkt, dass ich nicht geduldig neben ihr wartete, sondern über den Rasen tobte. Selbstverständlich hatte ich T’s Rufen gehört. Aber man kann doch nicht mitten im Spiel abbrechen. Schon gar nicht, wenn ein eben noch einsamer und gelangweilter Zweibeiner plötzlich nach Freude duftet. Was T manchmal nicht versteht. Zu meinem großen Bedauern stand plötzlich T neben Charlize Theron und mein Hochgefühl verpuffte augenblicklich. Ich wusste, jetzt war Schluss mit Spiel, Spaß und Spannung. Das ist meistens so, wenn ich mir heimlich einen Fremd-Werfer aussuche. Und tatsächlich: Mein Ring wurde nicht mehr entgegengenommen. Weder von Charlize Theron noch von T. Stattdessen sprachen sie miteinander. Es ist immer wieder das gleiche: Sobald T mit einem Zweibeiner ins Gespräch kommt, bin ich abgemeldet. Einfach vergessen. Jedes Mal.

Sehr aufmerksam sah T meine schwarzglänzende neue Freundin an. Und die fragte: What’s her name? T hat das gesagt, was sie immer sagt: Her name is Milla. Charlize Theron wollte jetzt wissen, was ich bin und T sagte: She is mixture Berner Senn and Dalmatien. Das war nun wirklich enttäuschend. Es hätte jetzt doch die richtige Bezeichnung fallen müssen: Dalmasenn. Schließlich sagt T das doch immer. Warum in diesem Moment nicht? Inzwischen weiß ich, dass es dieses Wort in der Sprache von Charlize Theron nicht gibt.

Ich weiß, es gehört sich nicht, sich in ein Zweibeiner-Gespräch zu mischen oder es gar zu unterbrechen. Aber ich hatte den ganzen Tag im Büro gelegen. Wir hatten keine Zeit für Petzow gehabt. Dort war damals das Bianca-Außenmotiv. Ein herrlich hügliger Park mit einer perfekten Badestelle und jeder Menge Zweibeinern, die Lust und Ausdauer hatten mit mir zu spielen, während T jeden und alles fotografierte. Weil T mir aber den Park, das Schwimmen und Toben an diesem Tag vorenthalten hatte und ich somit sträflich unterspielt war, trotz des kleinen Intermezzos mit Charlize Theron, warf ich nun den Ring in die Luft, stumm, und hob die Pfote, als er auf dem Rasen landete. Da lag er nun. Einsam. Ohne gesehen zu werden. Außer von mir. Denn statt mich weiter zu bespaßen, hat Charlize Theron gesagt: I have two dogs. Und T hat höflich gefragt: As big as Milla is or…? Charlize Theron hat den Kopf geschüttelt: They are cocker spaniel. I deeply miss them. T hat Charlize Theron bedauert und gefragt, wo denn ihre beiden Hunde sind.

Team Bianca Wege zum Glück

Wir haben es nie erfahren. Denn gerade als Charlize Theron antworten wollte, hat der Aufnahmeleiter (das ist der, der immer dafür sorgt, dass alle zur richtigen Zeit auf der richtigen Position stehen und der Regisseur Und bitte! sagen kann) gerufen: Charlize? Your turn. Und was tat T? Erkannte erst jetzt, mit wem sie so unbefangen geplaudert hatte. Deswegen zuckte sie jetzt auch zusammen. Erstarrte. Grinste. Alles gleichzeitig. Und tat ganz schnell so, als wäre nichts passiert. War genau genommen ja auch nicht. Abgesehen davon, dass jemand das Namensgeheimnis um diese mysteriöse Zweibeinerin gelüftet hatte. Und T bemühte sich so zu tun, als würde sie ständig mit weltberühmten, reichen, schönen und talentierten Hollywoodstars über deren Hunde sprechen. Die freundliche, blond riechende Charlize Theron streichelte mich und sang mit ihrer hinreißenden Stimme: Milla! It was a great pleasure. Thank you very much. Und dann hat Charlize Theron T angeguckt und gelächelt und gesagt: She is so cute. Damit schwebte sie über den Rasen und T sagte: Thanks. The pleasure was mine. Aber ich bin fast sicher, das hat Charlize Theron nicht mehr gehört.

*

Leider haben wir sie nie wiedergesehen. Weder in der Realität noch in der Fiktion. Weil wir den Film, den sie damals in Babelsberg drehte, Aeon Flux, nie geguckt haben. Im Gegensatz zu Onkel A. Und den rief T sofort an und brüllte ins Telefon: Ich habe gerade mit Charlize Theron gesprochen. Wir sind jetzt so! Und dabei kreuzte sie den Zeige- und den Mittelfinger übereinander und strahlte, als hätte sie den Drehbuch-Oscar gewonnen. Und das, ich schwöre, ist die echte Wahrheit.

Autorin Tina Gorf

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