Ihr Versprechen, dass ich in einem Garten leben würde, hat T übrigens gehalten. Bis heute. Ich hoffe, sie hat Bauer G das erzählt. Der Garten war ja schließlich der Hauptgrund, warum Bauer G mich T anvertraut hat. Ein Garten und Freiberuflichkeit. Gut. Das mit der Freiberuflichkeit war mit unserem Umzug nach Potsdam erst mal gestrichen. Wir wohnten zwar genauso, wie T es versprochen hatte – ruhig, grün, groß, friedlich. Wir waren 24 Stunden am Tag zusammen, sieben Tage die Woche. Es gab keine langen Trennungen mehr. Ich lag auch weiterhin neben oder unter T’s Schreibtisch. Aber eben nicht mehr in trauter Zweisamkeit und Ruhe zu Hause. Stattdessen verließen wir jeden Morgen unser neues Heim und ich trabte neben T zur Arbeit. Da flogen schon mal Aschenbecher an Wände; Stühle, Stifte oder Papierkörbe segelten durch den Raum; es wurden Türen geknallt; auf dem Gang gebrüllt; irgendjemand schmollte oder weinte oder alles zusammen. Wir Kreativlinge müssen so sein, hat T mal gesagt, sonst könnten wir den Job nicht machen, den wir machen. Und der Job hieß: Geschichten ausdenken, Figuren zum Leben erwecken. Kurz, Drehbücher fürs Fernsehen schreiben.
In unserem ersten Jahr in Potsdam trabten wir also morgens Seite an Seite zur Arbeit. Der Weg ins Büro war gleichzeitig meine Morgenrunde. Bei der ich unter anderem sorgfältig überprüfte, ob das Eichhörnchen schon wach war. Kurz vor unserem Büro steht nämlich hinter einem hohen Zaun ein Baum mit roten Blättern, der so groß ist, dass T es nicht schafft, seinen Stamm zu umarmen. Hier hat das Eichhörnchen gewohnt. Wenn wir vorbei kamen, huschte es immer in die Krone oder saß auf einem der Äste und schaute runter. Also bellte ich mein guten Morgen hoch in die Äste.
Mit ihrem Job als Drehbuchautorin erfüllte sich theoretisch T’s größter Albtraum. Sie nennt ihn den nine-to-five-Horror. Aber in diesem besonderen Fall hat der Horror sie glücklich gemacht. Sie liebte es plötzlich, von Montags bis Freitags immer von 9 bis mindestens 18 Uhr in einem fremden Büro zu hocken, mit vielen anderen Kollegen und einem Chef. Den ich übrigens sehr gemocht habe. Mir war sowieso alles Recht, solange ich nicht wieder dauernd von T getrennt war. Und ich schlafe da, wo mein Körbchen ist. Was in diesem Fall allerdings nichts weiter als eine blaue Samtdecke war.
T war nun also Drehbuchautorin, hatte Kollegen. Und ich hatte Spöten. Ach, Spöten! Spöten, du wunderbarer Spöten. Er war meine große Liebe. Vom ersten Moment an. Ich habe nie einen verrückteren, einen großherzigeren, einen mutigeren, einen liebenswerteren Jack Russell Terrier getroffen. Spöten hat mich beschützt – obwohl er wie Dr. C’s Rudi ohne Probleme unter mir durch spazieren kann. Spöten hat intensiv riechende Häufchen vor meine Bürotür gesetzt – als Geschenk. Die Tür markiert, hinter der ich T beim Denken unterstützte. Er hat Lieder für mich gesungen, wenn wir Überstunden machen mussten. Und in unseren Pausen bot er mir fulminante Wiesenwettrennen an. Hat mich gejagt – was ich besonders mag -, mit mir übermütig knurrend um meinen roten Ring gekämpft – ich habe ihn öfter gewinnen lassen, aus purer Zuneigung -, und wir haben friedlich nebeneinander köstliche Kaustangen zernagt. Ein fantastischer Kerl, der Spöten. Leider haben wir uns nach unserer Zeit im Studio Babelsberg aus den Augen verloren.
Schon in der ersten Woche mit dem Kollegen lernte ich viele Vokabeln – aber vor allem plotten. Beim Plotten wird man mit einem anderen Zweibeiner für den ganzen Tag in ein Büro eingesperrt, eine Woche lang. Schreibt auf bunte Kärtchen, was den Figuren passieren soll – möglichst ganz schlimme oder ganz schöne Sachen – und klebt die Kärtchen an eine Wand. Dann beschreibt man noch mehr bunte Kärtchen. Schiebt sie hin und her, sortiert neu, ändert noch mal die Reihenfolge. Solange, bist der Chef findet, dass man da eine spannende Geschichte geplottet hat.