Beute nach dem Einkauf

12:12:23 – Trennungsgründe

Bevor T nämlich dafür gesorgt hat, dass Schauspieler im Fernsehen im richtigen Moment das Richtige sagen, hat sie in unterschiedlichen Städten sehr lange und manchmal auch sehr kurze Geschichten geschrieben. Die wurden in Zeitschriften und Zeitungen gedruckt und von Zweibeinern beim Frühstücksei und einer Tasse Kaffee oder abends auf der Couch oder wann und wo auch immer Zweibeiner in kurze oder lange Geschichten eben so eintauchen, gelesen. Öpa ist übrigens einer von diesen Zweibeinern – der liest nach dem Ei und der Tasse Kaffee. Genau wie I, T’s Mutter. Öpa und I haben tatsächlich T’s Geschichten ausgeschnitten und in einen Ordner sortiert. Und das, obwohl doch jeder weiß: Nichts ist so uninteressant wie die Geschichten von gestern. Haben Öpa und I im Fall von T’s Geschichten irgendwie anders gesehen.

Jedenfalls hat T ihre Journalistenkarriere im Jahr vor meiner Geburt beendet. Und wieder aufleben lassen, als ich zu ihr zog. Von irgendwas müssen wir schließlich leben, hat T gesagt. Und dabei haben ihre Augen gefunkelt. Da wusste ich, dass wir nicht verhungern würden und T nur deswegen kurze und lange Geschichten für die Lokalzeitung schrieb, weil sie es konnte. Weil es ihr Freude machte. Weil sie sonst gerade nichts zu tun hatte. Parallel zu diesem Job fuhr sie allerdings zusätzlich alle sechs Wochen für fünf Tage nach Hamburg. Sie versprach mir, dass sie mich irgendwann mal mitnimmt. Hat sie dann auch. Schon aufregend, dieses Hamburg. Trotzdem bin ich froh, dass wir nicht da leben.

Ein ganzes Jahr lang fuhr T also immer wieder nach Hamburg. Sie hat es gemocht. Sie hat viel gelernt, sagt sie. Was genau, habe ich damals nicht verstanden. Es hat mich auch nicht interessiert. Schließlich zählte nur, dass sie immer voller Freude und Aufregung zurück zu mir nach Hause kam. Nach jeder Hamburgfahrt roch T glücklich und ich versuchte deswegen nicht unglücklich zu sein, dass sie mich zurückließ. Aber ich war jung, alles war neu, wir gewöhnten uns gerade einen schönen Rhythmus von schlafen, spielen, fressen, ruhen, spielen, schlafen, toben, fressen, schlafen an. Es war schwer zu verstehen, warum T diesen Rhythmus immer wieder unterbrach und mich in unschönster Regelmäßigkeit bei ihrer Mutter parkte.

Milla im Potsdam

I hat sich wirklich viel und große Mühe gegeben, damit mir die Trennung von T nicht so schwer viel. Ich durfte mit ihr aufs Sofa und Tennis gucken. In ihrer Werkstatt liegen. Sie hat mir Rezepte vorgelesen, mich gestreichelt, mit Keksen verwöhnt, mir große Hunderunden geschenkt und meinen Napf drei Mal am Tag gefüllt. Nur wenn wir spazieren gegangen sind, bestand I immer darauf, dass ich eine Leine um den Hals trug. Aus Angst, ich könnte vor ein Auto laufen. Entschuldigung?! Es ist doch bekannt, dass Autos gejagt werden können. Wenn man will. Wild kläffend, möchte man es auf die Spitze treiben. Aber immer hinter dem Auto her. Niemals davor. Egal. Ich habe weder das eine noch das andere je getan. Trotzdem hat mich I immer nur angeleint mitgenommen.

Als T dann nicht mehr nach Hamburg fahren musste, gondelte sie ständig nach Berlin. Wieder ohne mich. Wieder blieb ich bei I, blieb T fünf Tage weg, kam für zwei Tage zurück. Fuhr wieder für fünf Tage weg. Kam wieder für nur zwei Tage nach Hause. Das war wirklich hart. Überschwängliche Wiedersehensfreude – und im nächsten Moment schon wieder Abschiedsschmerz und große Trauer. T hat jedes Mal geweint und ich verzog mich in mein knarzendes Peddigrohrkörbchen, eine Pfote raus, Schnauze drauf, Blick von unten nach oben. T hat mir versucht zu erklären, warum es so sein musste: Ich wohne bei einer Freundin, mitten in der Bronx, da kann ich dich nicht mitnehmen. Das verwirrte mich. Ich hatte abgespeichert, dass die Bronx ein Stadtteil von New York ist. Hieß das, T fuhr gar nicht nach Berlin – sondern nach Amerika? Jede Woche??

So oder so – T’s ständige Abwesenheit war eine sehr unschöne, sehr emotionale Herausforderung, die wir gemeistert haben, weil wir wussten: Es ist nur eine Phase. Dass die am Ende sechs lange Wochen dauerte, weiß ich, weil T eines Tages überglücklich um mich herumtanzte und sehr laut und sehr schief heulte: Milla, ich habe für uns ein neues Zuhause gefunden. Wir ziehen nach Potsdam. Und weil sie zu I gesagt hat: Die letzten sechs Wochen ohne Milla waren die Hölle und mehr als genug.

In diesen sechs Höllenwochen bin ich übrigens sehr groß geworden. Seitdem übernehme ich würdevoll den Brötchentütenheimtransport. Trage das Portemonnaie zum und die Zeitschriften vom Kiosk nach Hause. Oder meinen roten Ring spazieren. Vor Geschäften bleibe ich sitzen und egal, wer mich anspricht, ich bleibe höflich distanziert, lasse die Tür nie aus dem Auge und passe auf, dass T auch ganz sicher den Ausgang findet. Natürlich alles OHNE Leine.

Beute nach dem Einkauf

Nach Hamburg und Berlin war ich kein kleines, dickes Ding mehr, das auf Stummelbeinchen durchs Leben hopste, sondern ein sehr schlanker, langbeiniger, noch etwas schmalbrüstiger Junghund, der neugierig in das nächste Abenteuer seines Lebens trabte.

www.millas-blick.de

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