Wenn Zweibeiner nicht genau wissen, worüber sie mit ihrem Gegenüber reden sollen, sprechen sie über – natürlich – das Wetter. Haben T und Dr. C schon. Es wird regnen. Heute Abend. Thema erledigt. Schweigen zieht auf wie eine Gewitterwolke und kräuselt sich zwischen ihnen als unangenehmer Geruch. Ich kann riechen, wie unwohl T und Dr. C sich fühlen. Und verstehe es nicht. Schweigen ist doch wunderbar. So friedlich. T und ich schweigen oft miteinander. Manchmal treffen sich unsere Gedanken, kommunizieren ein bisschen, trennen sich wieder. Oft spricht T ihre Gedanken laut aus, ich lausche aufmerksam. So oder so: Unsere Welt ist in Ordnung. Mehr braucht es nicht. Nicht von meiner Seite. Bei T sieht das manchmal anders aus. Es gab sogar eine Phase, da war sie so unsicher, dass ich ihre chaotischen Gedanken einfach nicht mehr entwirren konnte.
Wir hatten es gemütlich, gemeinsam auf dem dunkelroten Ledersofa. Eine Kerze brannte, T trank Tee und las mal wieder ein dickes Buch, die Gutenachtrunde war noch mindestens einen Tatort entfernt. Den hat T immer geguckt und sehr genau analysiert. Was mich nie interessiert hat. Deswegen habe ich mir angewöhnt, ihre kritischen Kommentare zu den Dialogen, der Regie, dem Licht, der Musik oder den schauspielerischen Leistungen an mir vorbei gleiten zu lassen, ohne zu reagieren. Da musste sie mich schon direkt ansprechen. Was sie an diesem besagten Abend ganz plötzlich tat. Tut mir Leid, Milla, hat T gesagt und ich roch ihr schlechtes Gewissen, dass ich nicht mehr mir dir rede. Rede ich zu wenig? Ja, ich rede zu wenig. Verdammt, ich sollte mehr mit dir reden. Sie schwieg einen Moment und sagte dann: Aber mit einem Hund reden? Das ist ja irgendwie auch … schräg.. Oder? Sie sah mich etwas ratlos an.
Ich hatte da schon länger in meiner friedlich-gemütlichen Eichhörnchenposition gedöst. Als T jedoch meinen Namen aussprach, war ich auf der Stelle wach und aufmerksam. Um meine Zuhörbereitschaft deutlich zu machen, und auch weil T so besorgt klang, zog ich die Schnauze unter meiner Rute weg. Dabei liebe ich es, meine Nase an meinen sanft puckernden Hinterlauf zu drücken, und mit der Rute meine Schnauze zu bedecken.
Da T aber offensichtlich Redebedarf hatte, gab ich meine gemütliche Lage auf, um es mir unbequem zu machen: Auf einem Hinterlauf sitzend, an die Sofarückenlehne gelehnt, die linke Pfote erhoben. Das entlockt T immer ein Lächeln. An diesem Abend sah sie mich nur an, seufzte und macht aus ihren Lippen einen Strich. T schwieg so lange, dass meine Körperspannung abnahm und ich unauffällig etwas zusammensackte. T sah mir in die Augen und sagte: Ich sollte dir vielleicht mehr vom Tag erzählen. Oder was mir so durch den Kopf geht. Oder, ich könnte dir auch vorlesen. Sie machte eine kurze Pause. Soll ich dir vorlesen, Puppy?, hat T schließlich gefragt. T hatte mir bis dahin noch nie vorgelesen. Warum wollte sie das jetzt plötzlich tun? Meine Antwort war ein ausgiebiges Gähnen.
Ich möchte hier anmerken: Wenn ich mein Gebiss entblöße, dabei gleichzeitig meine wirklich lange und breite Zunge rausfallen lasse und wieder einrolle, hat das nichts mit Müdigkeit zu tun. Ein gähnender Hund ist IMMER ein aufmerksamer, NIE ein gelangweilter oder gar müder Hund. T hat etwas länger gebraucht, um das zu begreifen.
Ich gähnte also besonders ausgiebig und ließ T dabei nicht aus den Augen. Sie beugte sich vor, kraulte mir mit diesem seltsamen Blick aus ihren sonst so bunten, jetzt einfarbigen Augen, den Hals. Und schwieg. Deswegen konnte ich ihre warme Hand auch nicht genießen. Es war etwas zwischen uns, was ich nicht verstand. Was mir zunehmend Unbehagen verursachte. Nur T konnte dieses Gefühl verjagen. Und genau das wollte ich. Dass T mir erklärte, was sie eigentlich meinte, was sie von mir wollte. Also drehte ich den Kopf gleichzeitig seitlich und nach hinten, so dass T’s Hand in der Luft schwebte. Ablenken ist nämlich nicht. Erst neugierig machen und dann nicht mit der Sprache rausrücken. Nicht mit mir. Schließlich ist meine Aufmerksamkeitsspanne nicht die einer Eintagsfliege. Ich weiß sehr wohl, wann es um die Wurst geht. Hat am Ende aber trotzdem nichts geholfen. T hat geschwiegen, die Beine angezogen, ihre Arme drum geschlungen, den Kopf aufs Knie gelegt und Löcher in mich reingeguckt. Als erwartete sie eine Antwort von mir. Irgendwann bin ich ihrem Blick ausgewichen und habe mich wieder eingerollt.
Ach, T. Worüber sie sich so Gedanken macht. Ich meine, worüber reden wir hier eigentlich? T ist so was von kommunikativ. Genau genommen spricht sie doch ständig – am Telefon mit Onkel A, Herrn H, mit P und S, mit C und K und Öpa und mit wem-weiß-ich-denn-noch. In echt mit Blumen-A, mit Buch-K in deren Laden, mit Pizza-A auf deren Pizza-Bring-Dienst-Treppen, mit Kneipen-A, mit Kino-C. Im Wald spricht sie mit Fremden, auf der Straße mit Nachbarn, Postboten, Müllfahrern oder Bauarbeitern. Mit Unbekannten im Zug, auf Parkplätzen, in Geschäften. Ich höre dann meist aufmerksam zu, lausche ihrer Stimme, ihren Worten, lerne und fühle mich immer mit einbezogen, oft auch angesprochen. Auf diesen Gedanken musste T an diesem Abend schließlich auch gekommen sein. Denn nach ihrer kurzen, fehlgeleiteten Selbstreflexion wandte T den Blick schließlich wortlos von mir ab und griff wieder nach ihrem Buch. Ich rutschte erleichtert zurück in meine Gemütlich-Position, seufzte wohlig – zweimal sehr kurz hintereinander die Luft durch die Nase ziehen und dann laaaangsam ausatmen. Und T tat dasselbe. Wortlose Verständigung auf den Status Quo. Mit Für Selbstgespräche bin ich eigentlich doch noch zu jung, gab T mir dann den Freifahrtsschein für ein Nickerchen. Und für sich selber das Thema auf. Mir gegenüber hat sie jedenfalls nie wieder erwähnt, dass sie mehr mit mir reden will. Sie tut es einfach dann und wann.
*
Ob Dr. C eigentlich auch solche Gedanken quälen? Dass T zu wenig mit ihr spricht? Vermutlich. Sie wartet bestimmt, dass T zu reden anfängt. Sonst wäre Dr. C bestimmt nicht mehr hier – wo sie doch immer so wenig Zeit hat. Wie festgewachsen sitzt sie auf dem Thron und fragt plötzlich: Was macht eigentlich der Job? Ich schnaube im Halbschlaf. Natürlich. Nach dem Wetter kommt die Frage nach der Arbeit. T arbeitet seit über einem Jahr nicht mehr. Weiß Dr. C doch. Warum sollte sich dieses Nichtstun von vorgestern zu heute in wilden Schreibwahn gewandelt haben? Weil ich T’s Antwort – welche Arbeit? – kenne, verliere ich mich in der Erinnerung, als wir noch jeden Tag das Haus verließen, weil wir zur Arbeit mussten.
liebe Tina…ein wunderbares Kapitel…