Herr Hasenzauber

12:12:40 – Hasenzauberverwandlung

Den einen Zweibeiner, mit dem wir oft plotten durften, nannte T nur Hasenzauber. Er nannte T Butterblümchen. Hasenzauber ist groß, ein Riese, und trägt feuerrote Hosen und weiße Hemden, hat eine wilde weiße Strubbelmähne und wüste schwarze Augenbrauen. Ein Zweibeiner wie ein Baum. Er roch nach ausgeprägtem Fluchtwunsch, sobald ich vor T den Flur runter trabte. Egal was T sagte, egal wie freundlich ich ihn begrüßte – Hasenzauber gönnte mir nicht den kleinsten Ohrenkrauler. Und vor allem wollte er niemals mit mir alleine sein. Ich roch seine Angst, seinen Stress, wenn es hieß, T und Hasenzauber sind in dieser Woche ein Plot-Team. Oder teilen sich ein Büro. Um es ihm ein bisschen leichter zu machen, nicht aus Unhöflichkeit, begann ich Hasenzauber schließlich zu ignorieren. Aber es blieb schwierig. Für ihn.

Herr Hasenzauber

Eines Morgens ließ T mich auf meiner samtblauen Decke zurück, sagte sehr streng: Du bleibst!, und touchierte dabei mit der flachen Hand beinahe meine Schnauze. Untrügliches Zeichen, dass ich mich auf keinen Fall auch nur einen Zentimeter bewegen darf. Ich war unglücklich. Normalerweise durfte ich T überall hin begleiten. Ob Büro, Kantine, Studio oder Außenmotiv – ich war immer dabei. Sehr selten blieb ich in einem Büro bei einem der 12 anderen Kreativlinge, die mich alle gern hatten. Die T’s Abwesenheiten nutzten, um mir das zu zeigen – mit Wurstbrötchen, Käsestücken, Apfelspalten oder Tomaten.

An diesem Morgen lag ich allerdings allein und verlassen im Plotbüro. Da öffnete sich plötzlich die Tür. Aber nicht T kam zurück, sondern Hasenzauber zum Dienst. Ich sah ihn an, ohne die Schnauze zu heben. Ich war unglücklich und außerdem begann mich das ewige Fluchtreflexaroma von Hasenzauber zu ermüden. Wenn Zweibeiner an dem festhalten, was sie irgendwann mal gelernt haben, wenn sie nicht bereit sind, jede Situation neu zu bewerten, dann haben sie auch keine Chance zu erfahren, dass einmal gemachte Erfahrungen nicht in Stein gemeißelt sind. Dass Dinge sich ändern können. Dass sich die Sicht auf die Dinge ändern kann und darf und es im besten Fall auch tut.

Im Fall von Hasenzauber schien genau das passiert zu sein. Er wollte etwas ausprobieren, er wollte mutig sein. Anders kann ich es mir nicht erklären, dass er mich plötzlich ansprach. Hasenzauber hat übrigens eine sehr knarzige, tiefe, angenehme Stimme. Mit der sagte er auf vorsichtige Art freundlich: Nicht traurig sein, Milla. Dein Frauchen kommt gleich wieder. Ich schnaubte leise, blieb aber liegen. Dass Hasenzauber nicht einfach rückwärts wieder aus der Tür stolperte, als er mich alleine im Büro fand, war schon sensationell. Aber dann geschah etwas noch viel Sensationelleres: Hasenzauber faltete sich neben mir zusammen und hielt mir seine schwarz beharrte, große Hand vor die Nase. Ich zögerte, war sicher, Angst und Stress zu erschnuppern. Aber ich roch nur Neugierde. Und vorsichtige Zuneigung! Um ihn nicht zu überfordern – normalerweise hätte ich ihm die Hand ein bisschen gesäubert – ließ ich mich auf die Seite fallen. Mein vom Frühstück noch voller Bauch beulte sich nach vorne. Und was tat Hasenzauber? Er legte seine Hand vorsichtig darauf. Ich bewegte mich nicht. Schielte nur zu ihm. Und dann strich die Hasenzauberhand vorsichtig über meinem Bauch. So begann unsere Freundschaft.

Als T und ich mit Hasenzauber später in der Mittagspause spielten, sagte er: Du hattest recht, Butterblümchen, Milla ist wirklich ein Therapiehund. Ich weiß gar nicht mehr, warum ich eigentlich solche Angst hatte.

Autorin tina gorf

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