Autofahrt mit Hund

12:11:00 – Sprachholperigkeiten

Es war Sommer. Mein erster Sommer bei T. Mein erster Sommer überhaupt. Meine erste lange Fahrt im Auto. Meine erste Nacht im Auto. Mein erster Besuch in einem fremden Land. Wer hat schon das Privileg, sich an den ersten Sommer seines Lebens zu erinnern? Ich tue es. Mehr als deutlich. Denn dieser Sommer war nicht nur mein erster, er war auch sehr besonders.

Begonnen hat er unspektakulär. T hatte ja lange in Berlin gelebt und war nun wieder in ihrer alten Heimat. Sie traf viele alte Freunde. So auch die Eltern von O. Mit O ist T aufgewachsen. Sie nennt ihn ihre Sandkastenliebe. O ist nur drei Wochen älter als T. Sie sehen sich nur selten. Denn er wohnt seit vielen Jahren in Frankreich. O’s Eltern hatten gehofft, dass O und T eines Tages heiraten. Aber O hatte sich in eine Französin verliebt und die geheiratet. Sie haben ein Haus gebaut und drei Kinder bekommen. Und weil T und ich die Eltern von O besucht hatten, wusste O, dass wir in der alten Heimat sind. Eines Abends hat er angerufen und T eingeladen, ihn in Frankreich zu besuchen.

T denkt nie lange nach. Sie liebt es, spontan zu sein. Also hat sie nach dem Anruf von O einen Altas aus dem Bücherregal gezogen und gesagt: Milla, wir fahren in die Normandie. Als Zeichen meiner Begeisterung legte ich T mein Lieblingsstöckchen vor die Füße. Aber T hat nur gesagt: Jetzt nicht. Ich muss unsere Route planen. Ich bin ja mehr für machen als für planen. T normalerweise auch. In diesem Fall aber nicht. Und da T mein Stöckchen partout nicht werfen wollte, ließ ich mich mit einem vorwurfsvollen Schnauben neben sie fallen, legte meine Schnauze auf ihren Atlas und ließ mir unsere Route erklären. Darüber bin ich eingedöst.

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Planen geht bei T schnell. In diesem Fall: Mein Körbchen, mein Handtuch, meinen Futtersack, meine Lecker, meinen Fressnapf, mein Handtuch, meinen Ring in den Kofferraum. Dazu eine Tasche, ein Kissen, eine Decke für T – und los.

Damals hatten wir noch unser rotes Auto. Sehr komfortabel. Normalerweise gehörte mir der Kofferraum. Freie Sicht auf Motorräder, Krähen, Felder, Himmel und was sonst noch so an einem vorbeisaust. Für unsere Reise in die Normandie wurde ich allerdings auf die Rückbank verbannt. Und weil es sehr heiß war, hat T meine Seitenfenster mit dunklem Papier abgeklebt. Das war irritierend und vor allem unbequem, weil ich mir den Kopf verrenken musste, wollte ich was sehen. Aber glücklicherweise ist die Rückenlehne weich, man kann seine Schnauze ablegen und so entspannt trotzdem aus dem Kofferraumfenster gucken und alles vorbei fliegen sehen.

Autofahrt mit Hund

Mal ganz ehrlich: Was gibt es schon Spannendes zu sehen, wenn man ewig nur über die Autobahn fährt? Genau genommen nichts. Gar nichts. Außer Autos. Auf Dauer aber langweilig. Da bleibt nur schlafen. Und genau das tat ich dann auch. Nach drei Stunden gab es die erste Pause. Auf einem sehr lauten, sehr stinkigen Parkplatz. Ich bekam Wasser, eine Kaustange – nachdem ich ein anständiges Häufchen unter einem Busch gemacht hatte. T streckte die Hände in den Himmel und dann zur Erde, ächzte ein bisschen, sagte Sätze wie: Das perfekte Reisewetter. Ein Viertel haben wir geschafft. Dann fuhren wir weiter. Ich guckte ein bisschen aus dem Heckfenster und schlief wieder ein. Beim nächsten Halt waren wir ganz alleine auf dem Parkplatz. T warf ein paar Mal meinen Ring, sagte: Pinkeln, und servierte mir dann mein Futter. Sie selber ging ein paar Mal in die Knie, hüpfte erst auf einem, dann auf dem anderen Bein, und sagte jetzt Sätze wie: Langsam hab ich keine Lust mehr. Wir haben gerade mal die Hälfte.

Aber manchmal geht es eben nicht nach Lust, soviel weiß ich. Also stiegen wir wieder ein. T machte erst Musik an, dann hörten wir Die drei Fragezeichen. Darüber schlief ich ein. Irgendwann war es dunkel und T hielt zwischen großen Lastwagen auf dem dritten Parkplatz. Milla, sagte T und streckte die Arme ganz weit über den Kopf und wiegte sich wie ein Baum im Sturm, wir sind kurz vor der französischen Grenze. Hier schlafen wir.

Mit hier meinte sie tatsächlich unser Auto. Wir hatten vorher noch nie im Auto geschlafen – und haben es auch nie wieder getan. T hat mein Körbchen auf die Rückbank gequetscht. Sich ihr Kissen und ihre Decke aus dem Kofferraum geholt und ihren Sitz soweit zurück gedreht, dass ich T von meinem Körbchen aus problemlos das Gesicht hätte waschen können. Kaum lag T, schlief sie auch schon. Ich dagegen döste nur mit wachsam hochgestellten Ohren. Erstens war ich ausgeschlafen, zweitens fehlte mir Bewegung und drittens: Einer musste schließlich all die vielen unbekannten Geräusche in gefährlich und ungefährlich einordnen.

Nach dieser Nacht kann ich mit Fug und Recht behaupten: Ein Autobahnparkplatz kurz vor der französischen Grenze ist für Übernachtungen nicht meine erste Wahl. Nicht mal die zweite oder dritte. Nicht mal mit abgeklebten Fenstern. Es brummt und hupt ständig, in ungleichmäßigen Abständen wird es gleißend hell und dunkel. Hell, dunkel, hell, hell, dunkel, hell. Entweder hustet jemand. Oder schreit vor Schmerzen. Oder lacht. Oder alles zusammen.

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