Es ist ihre letzte Reise. Und sie macht das wunderbar. Wie meint Dr. C das jetzt? Letzte Reise. Wieso denn letzte Reise? Was heißt hier letzte Reise? T hat mir versprochen, dass wir schwimmen gehen. Bald. Ganz bald. Hat sie damit vielleicht sogar gemeint, dass wir wieder ans Ostmeer fahren? Oh, ich liebe das Ostmeer. Ich liebe, liebe, LIEBE es! Den Strand, die Möwen, die Wellen.
T wirft den Ring, der sich in den Sand bohrt. Ich wühle meine Nase tief in die kitzligen Krümel, buddle wild mit den Vorderpfoten nach dem Ring. Wenn ich ihn nicht finde, belle ich T um Hilfe an und sie gräbt ihn für mich aus. Wirft ihn gegen den Wind im hohen Bogen in den blauen Himmel mit den weißen Wölkchen. Und der Ring plumpst in das blaue Ostmeer, das auch weiße Wölkchen hat. Ich sehe den Ring fliegen und fallen und hopse hinterher, pflüge durch das Wasser. Die Wellenwolken tragen mich, egal, wie oft ich sie zwicke, sie beiße, sie fresse, sie schlucke. Wir machen ein Wettschwimmen, die Wellen gewinnen meistens. Manchmal bin ich schneller zurück am Strand als sie. Den Ring rette ich immer. Gebe ihn T, in die Hand, und wälze mich schnaufend im glitschigen Tang. Herrlich, sich in ihn hineinzuwühlen, ihn durch die Luft zu schleudern und wieder aufzufangen. Ich renne, bis ich T’s Stimme nicht mehr höre, galoppiere über den nassen und den trockenen, warmen Sand, der so herrlich die Pfoten massiert. Wälze mich darin, schüttle mich, stürze erneut in die Wellen.
Manchmal kommt T mit ins Wasser. Dann möchte sie mit mir gemeinsam schwimmen. Aber ich passe lieber auf, dass der Strand nicht einfach abhaut. Lasse mir von den Wellenwolken den Bauch kühlen, und T nicht aus den Augen. Ich bin ihr persönlicher Strandwächter. Wenn T dann aus dem Wasser kommt und in der Sonne glitzert, renne ich wieder los, erleichtert, dass T zurück ist. Befreit von der Angst, sie schwimmt ohne mich weg. Ich tanze um T herum. Sie tanzt auch. Dabei lässt der Wind ihr Haar flattern und ihr Lachen fliegt über das Ostmeer. Nach so einem Tag sind unsere Beine schwer und wir haben einen Höllendurst.
*
Meine Hinterläufe sind schwer. Meine Zunge ist ein bisschen träge, ich lecke mir matt über meine Lefzen. Mein Herz schlägt schnell. Ich höre Wasser plätschern. Aber wo ist der Strand, wieso kreischen die Möwen nicht? Wo ist T? Für einen Moment habe ich die Orientierung verloren. Drehe den Kopf – T tanzt nicht durch den Sand. Sie steht mit dem Rücken zu mir am Spülbecken. Ihre Schultern zucken, ihr Kopf hängt nach unten. Wollte Dr. C sie nicht piksen? Hat Dr. C es vergessen? Jetzt weiß ich, dass wir nicht am Ostmeer sind. Für einen Moment bin ich enttäuscht und schnaube leise. Es plätschert noch immer.
Ich drehe den Kopf ein bisschen weiter. T füllt meinen Trinknapf. Er ist längst voll. Er läuft über. Halt! Es reicht. So durstig bin ich wirklich nicht. Ein Glück. Es funktioniert wieder. Unsere Gedanken treffen sich, T stellt das Wasser ab. Ob sie sich auch gerade an unseren gemeinsamen Sommer erinnert? Ich höre ein Geräusch, einen leisen Schritt, und noch einen. Ich schiebe meine Schnauze über meine Wolke zurück in eine bequemere Position. Jetzt sehe ich Dr. C. Sie steigt von ihrem Thron. Holt ein schlangenartiges Ding mit einer runden Metallscheibe aus ihrer Tasche. Moment. Das Ding kenne ich doch. Von meinem Besuch bei Dr. D, damals, als wir noch auf dem Land wohnten. Dr. D hatte auch so was. Stethoskop. Richtig. Jetzt fällt mir alles wieder ein!
Dr. D hat mich damals auch gepikst und Ameisen unter meiner Haut krabbeln lassen. So wie heute. Ich schlief ein und als ich aufwachte, sah T ganz erschöpft und erleichtert aus und war besonders zärtlich. Sie half mir aufzustehen. Meine Zunge hing schlaff und geschwollen aus dem Maul. Sie gehorchte mir einfach nicht. Ich hatte Durst. Konnte aber nicht trinken. Jetzt ist mir klar, warum T in der Küche ist und meinen Napf volllaufen lässt. Sie denkt, ich habe Durst. Weil Dr. C mich gepikst hat. Meine Zunge ist jetzt aber kein bisschen geschwollen. Und gehorcht mir auch einwandfrei. Aber Durst habe ich gar nicht. Um T einen Gefallen zu tun, werde ich trotzdem ein bisschen Wasser schlabbern.
Dr. C sitzt jetzt neben mir und sagt genau das, was Dr. D damals auch gesagt hat: Das ist ein Stethoskop. Ich horche jetzt dein Herz ab. Stethoskop = Herz abhorchen. Reine Routine. Habe ich mir gemerkt. Dr. C streichelt mir über den Kopf. Gut machst du das, Milla. Sie lobt mich. Dr. C lobt mich. Dr. C LOBT mich – aber wofür? Ich liege hier faul rum. Genieße meine schmerzfreie Leichtigkeit. Träume von unserer nächsten Reise ans Ostmeer. Dafür gelobt zu werden… Ach, solange Dr. C nur zufrieden ist und mich lobt, ist alles gut.
T kommt ohne meinen Wassernapf zurück. Sehr schön. Muss ich mich zu nichts zwingen oder gar T enttäuschen. Ich spüre ihren ängstlichen Blick. Er wandert von Dr. C zu mir. T steht nur da und beobachtet, was Dr. C tut. Die streicht mir über die Flanke, packt ihr Stethoskop wieder ein und sagt: Alles genauso wie es soll. Das scheint T zu erleichtern. Trotzdem riecht sie noch nach etwas anderem. Nach Zweifel und Unruhe. Hat Milla ganz sicher keine Schmerzen?, fragt T. Nein, habe ich ganz sicher nicht. Seit dem Piks, der nicht gepikst hat. Warum weiß T denn das nicht? Dr. C weiß es doch auch. Sie schüttelt den Kopf. Keine Schmerzen, keine Ängste, sagt Dr. C und ich schiebe meine Schnauze ein Stück nach links, damit ich T besser sehen kann. Ich schaue T an, unsere Gedanken scheinen einander gerade nicht zu treffen. Oder hat T plötzlich verlernt, meine Gedanken zu lesen? Es geht mir gut. Lass uns endlich los. Du hast mir versprochen, wir fahren ans Ostmeer. Komm schon, pack alles ein.
Aber T packt überhaupt nichts ein – sie setzt sich wieder zu mir. Ihre Stimme klingt weich und fest und zuversichtlich. Sie sagt: Ich weiß noch, wie Milla schwimmen gelernt hat. Dann dreht sie sich zu mir, schiebt zwei Finger über meine Nasenwurzel, hin und her, sehr sanft. Ich kann nichts dagegen tun, mir klappen die Augen zu. Von weit weg höre ich T sagen: Weißt du noch, Milla? Natürlich weiß ich es noch.