12:08:19 – Ausleihauftrag

Aufmerksamkeit bei gleichzeitiger Entspannung – bei K ging das ganz wunderbar. Ohne die Ohren auf Durchzug zu stellen, suhlte ich mich ausgiebig in dem Gefühl, Teil eines großen Rudels zu sein. Neben K und L gab es nämlich noch Willi und Emma. Wir kannten uns von früher, aus der alten Heimat. Willi, ein etwas schlichter, ewig hungriger und deswegen dauer-maunzender Kater, hat ein massives Problem mit dem Gleichgewicht, was bei seinen Proportionen – ab der Hüfte wird’s birnenförmig – kein Wunder ist. Der Birnenpo ist inzwischen verschwunden, weil Willi seit dem Umzug endlich das sein kann, was er eigentlich immer war: ein Streuner. Zwar immer noch mit Gleichgewichtsproblemen, aber rank und schlank. Emma und er haben sich trotzdem nicht ineinander verliebt. Was aber wohl an ihr liegt. Sie ist eine dreifarbige Katze und man weiß ja, dass die durchaus kapriziös sein können.

Eigentlich gehört auch noch Butscho the Bhudda zum Rudel. Der eindrucksvollste, mächtigste, friedfertigste und dabei klügste schwarz-weiße Kater, der mir je untergekommen ist. Seine weißen langen Barthaare sind legendär. Genau wie sein würdevoller Blick. Ich hatte immer das Gefühl, Butscho guckt ganz tief in mich und meine kleine Köterseele rein. Butscho und ich, wir mochten uns auf den ersten Blick.

Seit K und L in das große Haus mit dem noch größeren Garten gezogen sind, hatte ich Butscho allerdings nicht mehr gesehen. Ich suchte ihn. Ohne Erfolg. Kein Hauch von Butscho, im ganzen Haus nicht. Ich fragte schließlich Willi oder Emma nach ihm. Aber sie wussten auch nichts Genaues. Ich war irritiert und enttäuscht. Und übte mich in Geduld. Eines Nachmittags spielte ich mit K im Garten und da zeigte sie auf einen Stein und sagte: Da liegt Butscho. Aha? Butscho war also zu Stein geworden? Ich beschnüffelte den Stein ausgiebig, aber er roch kein bisschen nach Butscho. Verwirrt und fragend sah ich K an. Die hat gelächelt, obwohl ihre Augen schwammen, und gesagt: Er ist trotzdem immer noch hier.

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Das Leben bei K und L mit Willi und Emma und dem versteinerten Butscho war friedlich. Beinahe langweilig. Denn leider ließ sich dieser Fremde, den ich attackieren und nachhaltig verscheuchen sollte, partout nicht blicken.

Schwierige Geschichte: Ich sollte auf K aufpassen – aber es gab nichts, wovor ich sie beschützen konnte. Das wurde auch K schnell klar. Weil sie mich nicht den ganzen Tag alleine zuhause lassen wollte – Emma und Willi waren sowieso nur unterwegs – gab K mir einen vorläufigen Ersatzjob: Ich durfte sie zur Arbeit begleiten. Das verdoppelte mein Gefühl von Wichtigkeit. Und Zugehörigkeit.

K arbeitet viel mit Zweibeinern, die entweder in einem Altenheim leben oder im Krankenhaus darauf warten, in ihr Zuhause zurück zu dürfen. Da wo wir an diesem Tag hinfuhren, roch es einsam, traurig und verwirrt. Ein bislang unbekannter süßlich-saurer Geruch schlug mir entgegen. Inzwischen weiß ich – so riechen Krankheit und Alter.

Als wir in dem Altenheim ankamen, bat K mich bei Fuß zu gehen. Ein Kinderspiel. Das schaffe ich immer ohne Unterstützung. Trotzdem legte mir K die verhasste Leine um. Ich versuchte das störende, breite Leder um meinen Hals zu ignorieren und trottete brav neben K viele Stufen hoch und wieder runter, ging durch Glastüren und lange Flure bis zu einem Raum, in dem ganz viele Zweibeiner saßen, die noch älter als Öpa waren. (T nennt ihren Vater liebevoll Öpa. Auf die Idee ist C irgendwann mal gekommen. K sagt manchmal auch Opa-Vater.)

K und ich gingen jetzt in die Mitte des Raumes und K stellte mich vor: Das ist Milla. Sie ist ein Dalmasenn und wird sehr gerne gestreichelt. Ich mag es sehr, als Dalmasenn bezeichnet zu werden. Es gefällt mir besser als: Sie ist eine Mischung aus Dalmatiner und Bernersenn. Stolz, als Dalmasenn vorgestellt worden zu sein und dankbar, dass K mein ewiges Streicheldefizit nicht unerwähnt ließ, saß ich sehr aufrecht und mit hochgezogenen Ohren neben ihr.

Hochgezogene Ohren vermitteln immer freundliche Aufmerksamkeit. Genauso wie eine leichte Neigung des Kopfes. Um mich also bei denen, die irgendwas zwischen ängstlich und skeptisch rochen, einzuschmeicheln, legte ich in unauffälligen Abständen den Kopf schief, sah K an und versuchte so kuschelbedürftig wie nur irgendwie möglich zu wirken. Was nicht ganz leicht war, schwebten doch so viele ablenkende Gerüche durch den Raum. Taumelnde Ratlosigkeit, traurige Sehnsucht und hoffnungsloses Unverständnis. Ich spürte unendlich viele Gedanken, die keinen festen Anker hatten. Und roch – Kuchen. Definitiv Kuchen. Sahne. Und den Hauch von Milch.

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