12:15:39 – Katzenalarm

Aller guten Dinge sind drei, heißt es ja. T hat es großzügig auf fünf erhöht. Und so zog als krönender Abschluss von T’s Studienzeit der weiße Chincilla Max bei ihr ein. Sein Zweibeiner hatte einem weißen Schäferhund ein neues Zuhause gegeben und der verstand sich nicht mit Max. T hat erzählt: Max war wirklich wunderschön und puschelig. Aber leider tierisch verfloht. Sie hat Max gepudert und mehrfach entfloht. Ohne Erfolg. Und so verseuchte Max die komplette Wohnung mit seiner unruhigen Zucht. T musste Teppich, Gardinen und sogar ihr Bett entsorgen. Litt unter juckenden Flohbissen und gab Max schließlich seinem Herrchen zurück. Der Max wiederum ins Tierheim abschob. T sagt, sie habe deswegen sehr lange ein sehr schlechtes Gewissen gehabt.

Danach wollte ich nie wieder eine Katze, hat T dann noch erzählt, aber dann verliebte ich mich in Sternchen. Wieder so eine vom Schicksal gebeutelte Samtpfote. Inzwischen lebte T in Berlin und schrieb für die Zeitung, fühlte sich einsam und ließ die weiße-grau-gestreifte Lady aus der alten Heimat, vermittelt durch Dr. D, in ihr neues Großstadtleben. Sternchen wiederum mochte nicht in der Altbauwohnung mit Winzbalkon mitten in der Hauptstadt eingesperrt sein. Kratze mitten in der Nacht an der Schlafzimmertür, maunzte stoisch, bis T sie hereinließ. Und war trotzdem unzufrieden. So sehr, dass sie sich zwei Mal vom Balkon stürzte. Ich wollte nicht herausfinden müssen, dass Sternchen gar keine sieben Leben hat, hat T gesagt, und dass sie die Katze schweren Herzens zurück in unsere alte Heimat, zurück zu Dr. D, gebracht hat.

An all das erinnerte ich mich, als wir an einem friedlichen Sonntag im Garten Unkraut ausbuddelten und T plötzlich sagte: Weißt du, Milla, wir haben so viel Platz. Ich finde, wir schenken einer familienlosen Tierheimkatze ein neues Zuhause. Das kam überraschend. T hatte zwar immer mal wieder laut darüber nachgedacht, dass es für mich vielleicht schöner wäre, wenn ich jemanden zum Spielen hätte. Aber ich war und bin mit unserer Zweisamkeit absolut zufrieden. Ich brauche sonst niemanden. Abgesehen davon war ich davon ausgegangen, dass T einen zweiten Hund adoptieren wollte. Stattdessen war jetzt die Rede von einer Katze. Ich wedelte dennoch Einverständnis. Solange T nur glücklich ist, bin ich mit allem einverstanden. Zumal ich mit Katzen kein generelles Problem habe. Schließlich bin ich mit Freggelchen, dem etwas irren schwarzen Stubentiger von T’s Mutter aufgewachsen.

Wie sicherlich schon erwähnt, T gehört nicht zu denen, die lange überlegen, wenn sie eine Idee haben. Nachdenken, grübeln, umentscheiden, neu überdenken – Zeitverschwendung. Am Montagmorgen fuhr T ins Tierheim und kam mit Orlando zurück. Grüne Augen, goldgelbes Fell mit dunkelbraunen und grauen Streifen. Schlank. Ein Bild von einem Kater. Ein echter Kotzbrocken.

T war rettungslos verliebt in Orlando. Der wiederum war misstrauisch, intrigant, aufmüpfig, undankbar, dominant, eifersüchtig und herrisch. Keine Ahnung, was T an diesem null sozialisierten, dreijährigen Flegel fand. Er fauchte mich an. Er nutze nie sein penibel sauberes Katzenklo. Er sprang T an die Waden, wenn sie ihre weite Lieblingshose trug, die so verspielt um ihre Beine flatterte, und biss zu. Er hat Angst. Er braucht einfach nur Zeit, Milla, hat T gesagt. Auch wenn er sich auf ihrer Computer-Tastatur breit machte und sie nicht schreiben konnte. T warb um Verständnis, wenn Orlando sich zwischen die Bücher quetschte und alle, nur weil er es konnte, zu Boden schubste. Weil T es sich so wünschte, bemühte ich mich, Orlando das Gefühl zu geben, willkommen in unserem Rudel zu sein.

Nun bin ich ja beileibe ein defensives Geschöpf und vermeide jeden Streit. Ich muss mich nicht wichtig machen, mir stellen sich die Nackenhaare nicht auf, ich knurre in der Regel niemanden an. Bei Orlando habe ich meine Kernkompetenzen Geduld und Großzügigkeit mehr als großzügig unter Beweis gestellt. Über Wochen. Ständig und dauernd. Ich überließ Orlando sogar meinen Platz an T’s Seite auf dem Sofa. Und registrierte besorgt, dass T von Tag zu Tag unsicherer und schreckhafter und schließlich unübersehbar ängstlich wurde. Egal, wie sehr sie Orlando mit frischem Fleisch (!) verwöhnte, wie oft sie seine Örtlichkeit säuberte, egal, welches Streu sie kaufte, egal, wie viel Spielzeug sie ihm schenkte, egal, wie sehr sie versuchte ihn zu bespaßen – Orlando blieb undankbar, unberechenbar, okkupierte und dominierte alles. Und entwickelte gleichzeitig mit jedem Tag mehr Wut. Auf mich. Auf T. Auf unser Zuhause. Auf das Leben.

*

Wenn schon keine Freundschaft, so hätte es doch eine friedliche Co-Existenz werden können. Aber mit diesem despotischen Tyrann? Unmöglich. Er drohte, mir seine Krallen über die Nase zu ziehen, wenn ich es noch einmal wagen würde, mich ihm zu nähern. Mir die Augen auszukratzen. Meine Ohren zu zerfetzen. Das waren mal wirklich krasse Katzendrohungen, drastisch, brutal, die unbedingt ernst genommen werden sollten. Genau das tat ich auch. Ich zog mich zurück, vermied es in der Nähe von Orlando zu dösen. Floh, sobald und so schnell es ging, in den Garten. Meine einzig verbliebene Sicherheitszone. Denn dahin traute sich das Großmaul nicht. Keinen Schritt setzte er vor die Tür. Stattdessen drangsalierte er T, gab den Schmusekater, wenn ich nicht da war. Die aufmerksame Samtpfote, wenn sie arbeitete. Ließ sich beim Fernsehgucken über das seidige Fell streichen. Und sprang T nachts mit gezückten Krallen ins Gesicht.

Ich hätte ihn im Genick packen und mal anständig durchschütteln sollen. Um ehrlich zu sein, ich hatte genauso viel Angst vor ihm wie T. Wir waren Gefangene in unserem eigenen Haus. Nach sechs Wochen, T und ich machten unsere Morgenrunde, rief T erschöpft bei Dr. D an. Und die erlöste uns von diesem Monster und T von ihren Schuldgefühlen: Gib ihn zurück. Er ist eifersüchtig auf Milla, hat Dr. D gesagt. Er wird Milla nie respektieren, immer wieder attackieren. Und dich auch. Es darf nicht sein, dass du Angst vor einer Katze hast und nachts nicht mehr schläfst.

So war das mit Orlando, dem schlimmsten Krawallbruder, dem ich je begegnet bin. T hat sich mehrfach bei mir entschuldigt und versprochen, dass nie wieder jemand bei uns einzieht. Auch dieses Versprechen hat sie gehalten. Wobei ich nichts gegen einen Zweibeiner hätte, der T’s Augen glitzern lässt. Sie zum Lachen bringt. Ihr hilft, wenn sie mal wieder überfordert ist. Der verhindert, dass sich die doofen bloß Hormone ranpirschen und das Leben zumindest kurzfristig zum Drama machen. So ein Zweibeiner könnte dann all die Dinge übernehmen, bei denen mir leider die Pfoten gebunden sind. Schön wäre einer, der vielleicht dasselbe chinesische Tierkreiszeichen hat wie ich. Pferd. Für den würde ich sogar meinen Sofaplatz räumen.

Copyright Tina Gorf

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