Die Nasenhunde sind übrigens hellbraune Galgos und stammen aus Spanien. Genauer gesagt, aus einer spanischen Tötungsstation. Klingt grausam. Ist grausam. Bonita hat einen zerschmetterten Hinterlauf und hopst deswegen auf drei Beinen durch ihr jetzt friedliches Leben. Zoé wurde von Zweibeinern gerettet, bevor man ihr wehtat. Trotzdem hat sie einen ziemlichen Gefängnisknacks bekommen und Nierenprobleme. Und irgendwas stimmt mit ihrem Gedächtnis nicht. Sie kann sich einfach nicht merken, wo ihr Zuhause ist. Ihr Orientierungssinn ist quasi nicht vorhanden. Wenn sie sich erschreckt, wird sie zu Bambi und flieht durchs Unterholz oder durch Hintergärten oder über den Friedhof, an dem wir wohnen, und versteckt sich wer-weiß-schon-wo. Manchmal nur für Stunden, manchmal für einen ganzen Tag. Ein paar Mal blieb sie sogar über Nacht verschwunden. Für BB ist das jedes Mal ganz entsetzlich. Zum Glück hat BB eine für Zweibeiner ausgesprochen feine Nase und so findet sie das Zoévchen jedes Mal wieder.
Wegen ihrer Fluchtmacke (oder braucht sie den Nervenkitzel sich zu verirren?) muss Zoé immer an die Leine. Was sie nervt, wenn wir spazieren gehen. Abgesehen davon, dass sie sowieso nicht gerne spazieren geht. Lieber gibt sie damit an, wie schnell sie rennen kann. Allerdings hat sie genau genommen Null Kondition. Blitzschnell flitzt sie über eine Wiese, schlägt zwei, drei Haken – schon ist die Luft raus. Ein mehrstündiger Ausflug? Fehlanzeige. Fahrradfahren? Auf gar keinen Fall. Lieber träumt Zoé sich von Grashalm zu Grashalm.
Bonita ist ruhiger. Introvertiert. Hat keinen anderen Anspruch, als in Ruhe gelassen zu werden. Sie lutscht und knabbert stundenlang auf einem winzigen Stein, oder räubert die Biotonne. Was ich übrigens überaus irritierend finde: Die Nasenhunde nagen lieber an gammeligen Kartoffelschalen oder schlappen Kohlblättern, als mit Öl verfeinertem Trockenfutter, garniert mit frisch geraspelten Möhren. Mit langen Zähnen kauen Bonita und Zoé Bröckchen für Bröckchen. Es dauert ewig und am Ende lassen sie immer die Hälfte stehen. Kein Wunder, dass sie so klapperdürre sind. Nur meine gute Erziehung lässt mich ignorieren, dass ihre Näpfe immer noch fast voll sind, wenn ich zu Besuch bei ihnen bin. Obwohl ich das eine oder andere Mal durchaus der Versuchung nicht widerstehen konnte. Als ich Zoé mal gefragt habe, was sie von ihrem sicheren Leben bei BB eigentlich erwarte, guckte sie mich ratlos an. Keine Ahnung, was du meinst. Mein Hirn reicht nicht aus, um mir über so was Gedanken zu machen, hat sie gemurmelt und – ich schwöre – dabei gegrinst.
Obwohl wir so grundverschieden sind, fühle ich mich Bonita und Zoé tief und innig verbunden. Ach, was rede ich: Ich vergöttere die beiden verrückten Langnasen. Sie sind wunderbar schräg und unberechenbar. Wenn ich beispielsweise bei ihnen übernachten darf, machen es Zoé und ich uns auf der Lehmofenbank in BB’s Arbeitszimmer gemütlich. Oder ich kuschle mit Bonita auf deren blauem Kissen. Bonita steht dann allerdings meist nach kurzer Zeit wieder auf und sucht sich einen anderen Platz. Manchmal dehnt und streckt sie sich so lange, bis sie mich mit ihrem knochigen Hinterteil vom Kissen geschubst hat. Dann klettere ich auf den breiten Sessel, auf dem früher ein gewisser Erich Honecker (muss man den eigentlich kennen?) gesessen hat. Sein Sessel ist unglaublich bequem. Fast so gemütlich wie unser rotes Sofa.
Jedenfalls, dieses Rudelgefühl mit Zoé und Bonita gefällt mir sehr. Wenn ich bei ihnen und BB bin, wünsche ich mir, es würde immer so sein. Bin ich aber zurück bei T in unserem Zuhause, wo mich niemand ins Ohr und gleichzeitig in den Po zwickt, wie die Nasentiere das mit nicht enden wollender Begeisterung tun, dann bin ich überaus zufrieden mit unserer ruhigen Zweisamkeit. Seit vorletztem Sommer lassen sich Bonita und Zoé nicht mehr sehen. Keine frechen Nasenhunde mehr. Inzwischen hat sich sogar ihr Geruch aufgelöst. Trotzdem bleibe ich zur Sicherheit immer noch vor dem Zaun stehen und warte einen Moment. Ich habe die leise Hoffnung, dass sie doch noch um die Ecke springen und mich durch BB’s Garten jagen.
Ich vermisse Bonita und Zoé. Aber zum Glück habe ich ja T. Und wir sind uns genug. Miteinander sind wir glücklich. Wir brauchen niemanden sonst. Keinen weiteren Zweibeiner und auch keinen anderen Vierbeiner. Schon gleich gar keinen wie Orlando.
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T ist das, was man ohne Übertreibung tierverrückt nennen kann. Sie liebt Giraffen und Elefanten und Seeotter, entzückt sich über Perlhühner, Erdmännchen, Schmetterlinge, Vögel, Ziegen, Enten und Schlangen, Affen jeglicher Art und ich weiß nicht noch. T’s hätte-ich-gerne-Liste umfasst zusätzlich alle möglichen haarigen Film-Fabelwesen bis hin zu einem (kleinen) Drachen. Manchmal denke ich, sie hätte Tierpflegerin im Zoo werden sollen.
Zweibeiner behaupten ja gerne, dass alles irgendwie auch mit ihrer Kindheit zu tun hat. Vielleicht ist da tatsächlich was dran. Ihre erste Samtpfote bekam T jedenfalls mit fünf Jahren. Schwarz, weißes Lätzchen, scharfe Krallen. T’s Mutter kapitulierte nach wenigen Tagen vor dem wilden und unreinen Stubentiger, verschenkte ihn an einen Schulfreund von T, der den kleinen Satan mit Pfeil und Bogen beschoss. Schreckliches Schicksal. Aber offensichtlich normal auf dem Land.
Weitere Katzen-als-Partner-Versuche startete T während ihres Studiums. Wegen eines akuten Kreativblackouts nannte sie ihre zweite Mitbewohnerin, eine grau-schwarz-gestreifte Durchschnittskatze, Tiger. Die entschied sich allerdings für T’s uralte Vermieterin als Dosenöffnerin. Angeblich, weil die Tiger immer auf dem Stuhl schlafen ließ und selber auf einem Strohballen saß, aus dem irgendwann Champions wuchsen. Aus Hilfsbereitschaft oder um Tiger eine Freude zu machen und weil sie genug Platz hatte, ließ T Heimkind Anjuli, einziehen. Die sei bildschön, rötlich-braun-schwarz-gestreift, zierlich und unerschrocken gewesen. Habe regelmäßig Vögel und Mäuse (immer tot, immer blutig) als Dankeschön in der Badewanne deponiert. Anjuli verlor nach wenigen Wochen bei T einen übermütigen Kampf mit einem Autoreifen.