Was jetzt gerade mit mir passiert, lässt sich nur schwer beschreiben. Es fühlt sich ausgesprochen wohligweich und hell an. Als läge ich in der Sonne. Aber offensichtlich kann T sich das nicht vorstellen. Sie fragt schon wieder: Alles gut, mein Baby? Ich sollte ihr bestätigen, dass alles gut, alles perfekt ist, doch meine Augen wollen sich einfach nicht öffnen. Auch meine Zunge bleibt lieber da, wo sie ist. Ich gönne T lediglich ein winziges, zufriedenes Schnaufen. Sofort krault T’s warme Hand mein Ohr. Berühren ihre Lippen sanft meine Lefze. Streichelt ihr Atem weich über meine Barthaare. Kein salziger Tropfen kitzelt. Alles gut. Alles perfekt. Wirklich. In Ehrlichkeit.
Sätze schweben wie Federn durch den Raum. Tanzen schwerelos um mich herum. Einen kann ich für einen Moment festhalten. Gestern lief eine von deinen NHK-Folgen, sagt eine Stimme, die ich gerade nicht zuordnen kann. T müsste jetzt eigentlich erfreut sagen: Ach, wirklich? Prima. Auf dem Sofa gesessen und Geld verdient. Aber T schweigt. Ich rieche einen Hauch von Gleichgültigkeit und Wehmut. Denn T hat ihre NHK-Phase beendet. Schon lange. Ich brauche eine neue Herausforderung, sagt sie seit vorletztem Winter. Und wartet seitdem, dass die neue Herausforderung um die Ecke marschiert. Dabei glaubte ich verstanden zu haben, dass Zweibeiner neue Herausforderungen suchen. Suchen müssen. Um sie zu finden. Um sich ihnen dann zu stellen. Dass allerdings neue Herausforderungen freiwillig vorbeispazieren, das ist mir neu.
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Nach unserem Auszug aus Bianca-Land hatten wir einen ruhigen, um nicht zu sagen, faulen Sommer. Es passierte nichts an der Drehbuchfront. Und das fand T erst mal gut. Zeit für den Garten, ihre Bücher, ihre Freunde und vor allem für mich zu haben. Wir waren viel unterwegs, quasi jeden Tag schwimmen. Aber irgendwann wurde T nervös. Und dann aktiv. Und fand im Herbst schließlich an der Elbe endlich die neue Herausforderung. Notruf Hafenkante hieß die damals noch ziemlich neue TV-Serie. Sechs Polizisten und eine Ärztin lösen gemeinsam Krimifälle in Hamburg (auf keinen Fall Mord! Niemand darf sterben! NIE!) Das hat T gereizt. Und sie hat sich schwer ins Zeug gelegt.
Weil Zweibeiner, aus welchen Gründen auch immer auf Abkürzungen stehen, spricht T jedoch immer nur von NHK oder den NHK’lern. Und die wurden unsere neue Fernsehfamilie nach den Biancanern. Vorher machten wir noch einen zweijährigen Abstecher nach Wismar (bei der Soko Wismar MUSS übrigens gemordet werden, und es gibt statt einer Ärztin eine kluge Pathologin) und ganz kurz waren wir auch in Elmau (da findet der Bergdoktor heraus, warum jemand krank ist) und in Dekkelsen (der Landarzt kümmert sich um die Sorgen und Nöte seiner Patienten). Nach einem etwas längerem, rot-rosigem Zwischenstopp in Lüneburg (übrigens ohne mich) wurden wir schließlich heimisch in Hamburg. Für über acht Jahre. Natürlich nur theoretisch. Via Email und Telefon. Wir blieben in unserem schönen Haus wohnen und machten manchmal gemeinsame Ausflüge in die Hansestadt.
T startete also noch mal einen Versuch (ganz groß im Fernsehen und so weiter) und schrieb mir eine Hauptrolle für ihre NHK-Folge Immer Ärger mit Nele. Zu Onkel A hat T gesagt: Wird langsam Zeit, dass Milla ihr Futter selber verdient. Hätte ich gemacht. Ehrlich. Auch wenn ich nach unserem Dreh im FFF wusste, dass ich wie T lieber hinter den Kulissen spiele. Vergeben wurde die NHK-Rolle dann übrigens an einen braun-weißen Australien Shepard. Ein Rüde gibt also eine Hündin. Ach, beim Film spielen solche Kleinigkeiten keine Rolle. T war enttäuscht, dass ich nicht mal zum Casting eingeladen worden war. Aber der Australien Shepard hat einen guten Job gemacht. Und wenn ich ehrlich bin, reicht es mir, dass die Filmfigur meinen Namen hat. Was außer T und mir und unserer Familie aber niemandem aufgefallen ist. T war insgesamt ein bisschen enttäuscht, dass ich mein Futter nicht selber verdiene. Ich dagegen war erleichtert, nicht stundenlang still sitzen zu müssen, um dann immer und immer wieder dasselbe tun zu müssen. Wir haben nie wieder über meine mögliche TV-Karriere gesprochen.
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T ist meist ohne mich nach Hamburg gefahren. Wenn ich ihr glauben darf, und das tue ich uneingeschränkt, waren diese Treffen nicht immer amüsant: Wie bei einer Prüfung sitzt T fünf Zweibeinern in einem stickigen Büro gegenüber. Die Zweibeiner kritisieren das, was T sich ausgedacht hat. Stundenlang. T muss ihre Geschichte nach den Wünschen der Anderen verändern und dann wird wieder darüber gesprochen, dieses Mal am Telefon, dabei wird erneut kritisiert und T fuhrwerkt wieder in ihrem Buchstabenwerk herum und beim vierten Treffen – dann wieder live und in Farbe in Hamburg – sind alle zufrieden. Wenn zuviel kritisiert wird und von T verändert werden muss, schimpft sie auf diesen verdammten Nuttenjob. Wenn wir dann aber vor der Mattscheibe sitzen und T’s Name über den Bildschirm flimmert, jubelt sie: Ich hab den besten Job der Welt. Mit Ausgeglichenheit und so hat T es einfach nicht.
NHK wurde jedenfalls zur Routine. Genau wie unsere täglichen Hunderunden. Wie die Literaturgruppe alle sechs Wochen. Wie die Donnerstagsdebatten mit den Doppelkopf-Damen. Wie unsere täglichen Besuche bei Blumen-A im Laden und anschließend bei BB mit ihren Nasenhunden Zoé und Bonita.