Die Sache mit Daisy aus der Schweiz und dem Triangel in meinem Ohr war eine blöde Verstrickung von unglücklichen Zufällen, wie T es irgendwann versöhnlich nannte. Stimmt. Deswegen hatte ich damals auch nicht das Bedürfnis, Daisy einen Denkzettel zu verpassen. Oder mich gar zu revanchieren. Abgesehen davon, dass ich mich nicht erinnern kann, wann ich je irgendwelche Rachegelüste verspürt hätte. Und außerdem war ziemlich klar, dass wir uns nie wiedersehen würden. Im Fall von Schröder oder Chila war das allerdings anders. Die waren ja Bestandteil meines Lebens.
Schröder war als Welpe und auch als Junghund sehr verliebt in mich. Ich fühlte mich geschmeichelt und immer herzlich willkommen, wenn er seine langen Beine verknotet und vor Freude geheult hat. Seit ich selber kein Welpe mehr bin, kann ich mit so stürmischen Strolchen aber nichts mehr anfangen. Richtig Spielen ist mit den Winzlingen ja eh nicht. Ständig stolpern sie über ihre eigenen Pfoten. Ständig wollen sie einen überall reinzwicken. So war es auch mit Schröder. Er wusste nie, wann genug war. Also musste ich ihm entweder die Pfote auf den Kopf legen oder anknurren: Es reicht. Hat er verstanden. Zumindest für den Moment. Dann ging alles wieder von vorne los: In die Rute kneifen, in den Hals, in die Pfote. An der Lefze lecken. Auf mich drauf hüpfen. An-streng-end.
Irgendwann war Schröder beinahe so groß wie ich. Und wurde damit zum echten Spielpartner. Ich habe mich von ihm jagen lassen. Wir haben um die Frisbee-Schreibe gekämpft, gemeinsam an einem Ast gezogen, knurrend vor Freude. Wir hatten großen Spaß. Und wenn ich bei K und L übernachtet habe, wollte Schröder unbedingt, dass ich mit ihm in seinem großen Körbchen schlafe. Ich mochte das. Aber irgendwann war Schröder dann größer als ich. Sehr viel größer. Und erklärte sich zum Chef und Bestimmer.
T hatte einen Termin, zu dem sie mich nicht mitnehmen konnte, also hat sie mich bei K und L geparkt. Ich war an diesem Tag sowieso nicht in guter Stimmung. Was Schröder wohl als Schwäche ausgelegt hat. Er witterte die Chance, mich endlich mal dominieren zu können. Obwohl er fünf Winter jünger ist als ich. Es war schon sehr überraschend, als Schröder mir plötzlich ernsthaft drohte; mich in die Schranken weisen wollte. Alles war mit einem Mal seins: Körbchen, Garten, Willi und Emma, K sowieso und L. Er beanspruchte jeden Grashalm für sich, statt wie bisher alles mit mir teilen zu wollen. Schröder knurrte, ich hätte mich als Gast in seinem Rudel, dem er als Rüde und Alphatier vorstehe, gefälligst unterzuordnen. Eine sehr harsche Ansprache, die ich nicht bereit war, kommentarlos hinzunehmen. Ich bin bekanntlich nicht streitlustig. Aber das ging mir dann doch einen Schritt zu weit. Immerhin bin ich die Ältere von uns beiden. Leider aber eben auch die Schwächere.
Das war Schröders Vorteil. Und den hat er ausgenutzt. Ohne weitere Vorwarnung attackierte er mich. Ging mir direkt an die Kehle. Ich war erschrocken. Und wütend. Also habe ich mich gegen diesen fast doppelt so schweren Brocken gewehrt, so gut ich konnte. Inklusive sehr grollendem Knurren. Und ja, auch ich habe meine Zähne eingesetzt. Mein Überlebensinstinkt setzte in dem Moment ein, als Schröder seine wirklich beängstigend große Schnauze bis Anschlag aufriss.
Unser ungleicher Kampf war kurz und schmerzhaft. K hat uns laut schimpfend getrennt. Wir alle waren erschrocken. K, weil Schröder zum ersten Mal zur Beißbestie mutiert war. Schröder, weil er mich doch eigentlich liebt. Ich, weil ich mich aggressiv gegen einen geliebten und vertrauten Freund wehren musste. K hat T gesagt: Es geht nicht mehr, Milla kann nicht mehr ohne dich bei uns bleiben. Im Klartext: T hat mich nie wieder bei K geparkt, geschweige denn mich an K und L ausgeliehen. Bedauerlich.
Schröder tanzt immer noch meinen Namen. Aber nicht mehr so ausdauernd, nicht mehr so aufdringlich. Er hat unseren Streit nicht vergessen. Ich auch nicht. Wir lieben uns aber immer noch heiß und innig. Eben nur mit mehr Distanz. Dagegen ist bei Chila und mir nach Jahren der Freundschaft leider der Ofen aus.
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Chila hat mich immer an meine frühere Welpenschul-Freundin Tammie erinnert. Chila ist nämlich auch ein pechschwarzer Mischlingsschäferhund. Auch sie war als Junghund ziemlich wild und ziemlich unberechenbar. Chila wurde als Welpe von ihren ersten Zweibeinern ins Tierheim abgeschoben. Da hockte sie ziemlich lange, bis A, U und B sich in sie verliebten. Damit wurden Chila und ihre neue Zweibeinerfamilie unsere Nachbarn und Freunde.
A hat T immer mal wieder um Rat gefragt. So was wie: Wie soll ich nur Chilas Vertrauen gewinnen? T hat A geraten, geduldig und konsequent zu sein. Bei den Tammies und Chilas dieser Welt braucht es eben sehr viel Geduld und noch mehr Konsequenz. Aber A war mit der stürmischen Chila irgendwie überfordert. Weil A nämlich eine ruhige und freundliche und sehr zierliche Zweibeinerin ist. Vermutlich hat Chila sie deswegen anfänglich nicht als Chef akzeptiert. Hat ihr in die Hand gebissen, wenn A ihr ein Lecker schenkte. Ist weggelaufen; hat Schuhe zerfetzt; Teppiche zerbissen; Tapeten abgekratzt; jedem Maulwurf Konkurrenz gemacht, und überhaupt alles, was ihr vor die Schnauze kam, in Stücke gerissen. A dachte, wenn sie und U bei der Arbeit sind und B in der Schule, wäre es vielleicht eine gute Idee und einfacher für Chila, wenn sie im Badezimmer warten würde. Aber auch das hat Chila ziemlich zerlegt. T hat A immer wieder ermuntert, nicht aufzugeben. Hat ihr alle Tricks verraten, die sie kennt. Aber Chila war nun mal stürmisch und übermütig. Ich glaube, sie war auch ziemlich unsicher und misstrauisch, weil sie vor A, U und B ja im Tierheim ausharren musste, bis sie endlich ein richtiges Zuhause geschenkt bekam.