Mit Hund in der Schweiz

12:18:00 – Schweizliebe

Hätte ich Geografie studiert, könnte ich eine Menge erzählen, über die Schweiz. Wie groß sie ist, wie viele Einwohner sie hat, wie viele Kantone und Sprachen und Städte, welche Flüsse da fließen und wie hoch die Berge sind. So kann ich lediglich sagen: Die Schweiz ist toll. Aufregend. Intensiv an Gerüchen. Sie hat Wasser, das so weich und köstlich schmeckt, wie kein anderes. Sie hat sanfte Hügel, weiche und steinige Wege, die sich durch Wiesen und Tannen schlängeln, hohe Berge mit weißen Kappen, Margeritenwälderalmen, blauen Himmel und eine Sonne, die reiner wärmt als unsere. Die Schweiz besteht genau genommen aus ganz viel unterschiedlicher Natur. Man trifft über Stunden keinen Zweibeiner. Trotzdem ist es nicht einen Moment einsam.

Zugfahren mit dem Hund

Rucksack-R hatte uns auf dem Basel-Bahnsteig noch seine Freundin J vorgestellt und dann wurden beide von der Masse der anderen Zweibeinernreisenden fortgespült.

*

T hatte für uns ein Auto gemietet. Wir fuhren einfach drauf los. Ohne Plan. Ohne Straßenkarte. Hielten in Dörfern, die uns gefielen. Schliefen jede Nacht in einem anderen Bett. Unternahmen die längsten und schönsten Wanderungen meines Lebens. So ist das mit T, seit sie aus Afrika zurück ist: Sie plant unsere Reisen nicht mehr. Sich treiben zu lassen, Milla, sagte sie, als wir auf der Suche nach einer Unterkunft an Häusern mit dunklem Fachwerk vorbeifuhren, aus denen prachtvolle rote Geranienbüsche wuchsen, ist die einzig vernünftige Art zu reisen. Wer alles durchplant, engt sich ein, ist blind für den Augenblick und verpasst zu viel vom echten Leben. Also haben wir uns in der Schweiz für die vernünftige Art zu reisen entschieden. Jeden Tag wieder.

Vermutlich haben wir auch nur deswegen diese windschiefe, von vielen Metern Brennholz gestützte Hütte mit einem Brunnen und Schafen und Ziegen, irgendwo im märchenhaften Heidiland, entdeckt. Vor der Hütte saß ein verrunzelter, lederhäutiger Zweibeiner mit langem weißen Bart und ganz hellen Augen. Der Almöhi lebt, hat T geflüstert. Der knorrige Almöhi roch nach schwerer, lebenslanger Arbeit und tiefem Frieden. Er sprach nicht, er murmelte. Das klang wie fernes Tannenrauschen. T hat ihm einen futternapfgroßen Käse abgekauft, der nach Wiesenblumen und Kräutern und Sommer schmeckte, und von dem zwei Übernachtungen später nur noch das Papier übrig war.

Mit Hund in der Schweiz

An einem anderen Tag trafen wir einen Zweibeiner, der nur eine Hose und Schuhe trug und mit einem langem Stab auf den Boden klopfte, während seine blökende Schlafherde sich überhaupt nicht davon beeindrucken ließ. Ich hätte mich gerne mit dem schwarz-weißen Border Collie ausgetauscht, der unermüdlich die Schafe umkreiste. Der war aber so konzentriert auf seinen Job (oder vielleicht war er schüchtern?), dass er nur eilig hechelte, er und sein Schäfer-Zweibeiner müssten mit ihrer Herde noch heute den Gletscher erreichen. Der Zweibeiner selber schien schüchtern (oder konzentriert?) zu sein. Kaum hatte er T und mich entdeckt, hob er die Hand, nickte, und ging dann weiter. Schneller als vorher. Schade eigentlich. Wir hätten prima gemeinsam den Gletscher besteigen können.

*

Es war, als gehörte die ganze Welt nur T und mir. Nie wieder hat T so sanft und weich und hell, so sehr nach innerer Ruhe und Glück und Sommer gerochen. Sie summte manchmal kleine Melodien, die ich noch nie gehört hatte. Und murmelte Dankedankedankedanke, als wir eine Pause machten und ein bunter Schmetterling sich neben ihr auf einer Blume ausruhte. Bei wem auch immer T sich wofür auch immer bedankte: Der- oder diejenige hat nicht geantwortet. Sonst hätte ich mich auf jeden Fall auch bedankt. Für die würzigen Gerüche. Das weiche Gras, das grüner leuchtet als bei uns. Der absoluten Stille. Dem Gefühl unendlicher Freiheit.

Roman Millas Blick

Schreibe einen Kommentar

*