12:03:25 – Emotionsexplosion

T vertraut Dr. C, ich vertraue T. So einfach ist das. Also ist alles gut. Wobei. Mit dem Schwören hat T es ja normalerweise nicht so. Versprechen – ja. Aber einen Eid schwören? Ernsthaft? Macht sie nie. Warum auch. Mehr als etwas versprechen kann man nun wirklich nicht. Und was immer T sich und mir geschworen hat – ich erinnere mich nicht. Ah. Moment. Vielleicht hängt es mit dieser Phase zusammen, als es ziemlich holperte mit uns? Als wir diese Wochen nämlich überstanden hatten, hat T gesagt: Ich kann dir nicht versprechen, dass es nie wieder passiert, Milla. Aber ich schwöre, dass ich mir Mühe gebe, dass ich alles versuche, damit es nicht mehr passiert. Ist es trotzdem. Immer mal wieder.

So ist das nun mal mit Zweibeiner-Versprechungen – sie werden gegeben und versucht zu halten. Etwas zu versuchen beinhaltet aber eben immer auch, dass dieser Versuch möglicherweise nicht funktioniert. Und den Schwur, den T an diesem Tag ablegte, war genau genommen kein richtiger. Sie hatte ihn quasi aufgeweicht. Denn wenn Zweibeiner schwören, dass sie sich Mühe geben werden, rechnen sie doch schon damit, dass sie scheitern.

Als T mir also schwor, sich in Zukunft Mühe zu geben, roch es nach Pilzen. Wir streiften durch den bunten Wald. Das ganze Jahr über hatte T schon sehr lange sehr viel gearbeitet und dafür viel zu wenig geschlafen. Ich konnte ihr nichts recht machen. Denn wenn T zu viel arbeitet, zu wenig schläft und dann auch noch schlecht träumt, ist sie nicht mehr sie selber. Ihr weicher Mund wird ein harter Strich. Ihre Haare und ihre Augen verlieren ihren hellen Glanz und ihr ganzer Körper bebt, obwohl er erstarrt ist. Innerlich pulsiert sie und es braucht dann nicht viel, damit T überkocht wie neulich der Topf mit den kleinen roten Früchten. Weil kein anderer Zweibeiner in unserem Leben ist, den T anherrschen kann, muss ich eben herhalten.

Ins verdammte Körbchen, brüllte T an diesem Tag mit zu viel Arbeit und zu wenig Schlaf und schlimmen Träumen, und ihre Stimme klang rau und tief und dunkel, geh mir jetzt nicht auf die Nerven! Ich war verwirrt, wusste nicht, was ich falsch gemacht hatte. Und ja, ich hatte Angst vor T. Also ließ ich mich da fallen, wo ich gerade stand (sehr weit weg vom Körbchen), und verwandelte mich in einen leblosen Klotz. Kopf auf die Pfoten, die Rute eng an die Hinterläufe. Hoffend, nein, überzeugt, solange ich mich nicht rühre, passiert nichts Schlimmes. T würde sich wieder beruhigen und alles wäre wieder friedlich, wie immer. Ich war ein zitterndes Elend. Mit schreckensweiten Augen. Dagegen war ich machtlos. Da verlor T die Kontrolle über ihre Sprache: Wie bescheuert bist du eigentlich? Muss ich eigentlich alles fünf Mal sagen? Ins Körbchen, verdammte Scheiße noch mal! SOFORT. Aber ich reagierte nicht. Ich konnte nicht. Ich zitterte so sehr, dass meine Pfoten mir nicht gehorchten. Ich drückte mich noch mehr in den Fußboden. Da packte T mich am Hals und am unteren Rücken, krallte ihre Hände in mein Fell, schlurfte mich zum Körbchen, warf mich beinahe hinein. Es war schrecklich und absolut verängstigend und verwirrend und demütigend.

Es dauerte einige dieser Explosionen bis ich begriff, dass T nichts anderes meint als: Ich bin überfordert. Ich brauche Ruhe. Ich brauche Hilfe. Ich kann nicht mehr. Es tut mir leid, aber ich kann mich gerade nicht um deine Bedürfnisse kümmern. Wenn T also wieder mal ungeduldig und hart klingt und mich anbrüllt, dann weiß ich, sie sagt Dinge, die sie nicht meint. Die nichts mit mir zu tun haben. Seit ich das begriffen habe, tapse ich ohne Umwege schon beim ersten INS Körbchen (manchmal reicht sogar ein scharfes iiiiinnnnsss)  dorthin, beobachte T unauffällig, bis mir die Augen zuklappen. Selbst wenn ich höre, wie schwer T atmet, wenn ich ihr Beben spüre und das Salz rieche, das aus ihren Augen fällt, bleibe ich liegen und schnorchele nur leise. Nach jeder dieser emotionalen Detonationen entschuldigt sich T mit nassen Wangen und streichelnden Händen und einer langen Hunderunde. Ich wasche ihr dann sanft das Salz aus dem Gesicht und liebe sie genauso doll wie immer.

*

Warum ich ausgerechnet jetzt an diese Wutanfälle denken muss? Weil ich T seit Wochen immer wieder einen Grund liefere mich ins Körbchen zu verbannen, mit Nichtachtung zu strafen oder eben fürchterlich anzubrüllen. Denn ich tue etwas, was T früher manchmal sehr ärgerlich gemacht hat und für das ich mich heute noch genauso schäme wie damals: Ich verliere meine Häufchen.

Es passiert, wenn ich vom Trinknapf zurück ins Körbchen will. Wenn ich vor dem Schmerz weglaufen will und durch das Wohnzimmer trabe. Wenn ich versuche, aufs Sofa zu klettern, das T für mich mit meiner Decke vorbereitet hat. Plötzlich und ohne Vorwarnung geschieht es und ich kann nichts dagegen tun. Weil ich die Kontrolle verloren habe. Das ist erniedrigend und beängstigend.

Ich, die immer penibel darauf geachtet hat, weit vom Waldweg entfernt, möglichst hinter einem Baum, in jedem Fall außer Sichtweite von T, mein Geschäft zu erledigen. Und nun benehme ich mich wie ein Welpe. Wenn das Desaster mit mir geschieht und ich nicht weiß, wann T nach Hause kommt, verkrieche ich mich tief gedemütigt in mein Körbchen. Mein scharfer Häufchengeruch überflutet alles und ich leide still und verzweifelt vor mich hin.

Als es das erste Mal passierte, war ich so überfordert, dass ich leise wimmerte. Aber T hörte mich nicht. Sie war weggegangen, hatte mich nicht mitgenommen, weil sie wusste, wie schwach ich war. Vor Angst und Scham und Erschöpfung konnte ich nicht schlafen. Ich wartete zitternd, dass das Gartentor endlich quietschen würde. Dass T die Haustür aufschließen und singen würde: Ich bin wieder daaahha. Um dann schlimm zu schimpfen.

Meist riecht T das Malheur schon, bevor sie das Licht anknipst. Aber nie brüllt sie mich an. Nie verliert sie ihre schöne Sprache. Stattdessen kommt sie jedes Mal zu mir, streichelt mich und sagt leise: Ach, mein armes Ding. Kein Problem. Stinkt gleich nicht mehr. Erst gestern hat sie gesagt: Ist nicht schlimm, mein Baby. Alles gut. Dann bin ich dankbar und erleichtert und spüre, dass T es genauso meint, wie sie es sagt. Jedes Wort ist wahr. Gestern hat sie auch wieder gesagt: Es ist nicht deine Schuld, du kannst nichts dafür. Ich liebe dich. T liebt mich – trotzdem. Nur das macht die Situation überhaupt noch erträglich. Obwohl mir nicht klar ist, warum das mit mir passiert. Welchen Sinn das alles hat.

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