Als ich T das erste Mal sah, war ich sehr jung, sehr dick und hatte kaum eine Ahnung von wenig. Alles was ich wollte, war T sofort irgendetwas zu schenken. Ein Stöckchen. Oder den Lederball. Sie würde ihn wegkicken und ich würde ihn ihr zurückbringen. Oder vielleicht doch besser meinen größten Schatz. Einen herrlich angenagten Kauknochen – den ich vor meinen verfressenen Brüdern immer verstecken musste -, ich hätte ihn ihr sofort überlassen. Am allerliebsten hätte ich mich vor ihr auf den Rücken gelegt, damit sie mir den Bauch krault. Sie roch so gut. Warm und friedlich und nach Freiheit und Fröhlichkeit und Beständigkeit und Treue. Ich war ganz sicher, mit ihr würde ich eine Menge Spaß haben. Sie würde genauso zuverlässig sein wie Bauer G, der sich seit meiner Geburt um mich und meine Geschwister kümmerte.
Als T uns das erste Mal besuchte, war es schon spät. Meine Geschwister und ich langweilten uns ein bisschen zwischen den Strohballen. T kam mit Bauer G rein und sagte: Ich habe mich verliebt. Ich schwöre, sie hat nur mich angesehen. Natürlich wusste ich damals noch nicht, was Zweibeiner meinen, wenn sie sagen, sie seien verliebt. Aber T roch weich. Ihre Augen waren weich. Ihre Stimme war weich. Genau wie meine Beine. Und mein Herz. Es schlug, als hätte ich mit meinen Brüdern auf dem asphaltierten Hof getobt.
Zum ersten Mal in meinem Leben wedelte ich versuchsweise und durchaus erfolgreich mit dem Schwanz. Ich gab wirklich alles. Dabei waren schon den ganzen Tag irgendwelche Besucher bei uns gewesen. Lauter junge Zweibeiner, die scheußlich quietschten, sobald sie uns sahen. Aber keiner von denen roch so nach Zuhause wie T. Bei keinem hatte ich das Bedürfnis gehabt, mich von meiner besten Seite zu zeigen.
Sobald T hereinkam und sich ihr Geruch in meine Nase schlängelte, drängelte ich mich zwischen meine Geschwister und stellte meine Vorderpfoten auf den Strohballen. Es war anstrengend, so zu stehen und gleichzeitig zu wedeln und den Kopf schräg zu halten. Dazu streckte ich mich, so dass ich meine Brüder überragte. T fragte: Darf ich die mitnehmen? Ich streckte mich noch ein bisschen mehr. Aber T zeigte nicht auf mich. Sondern auf meine kleine, meine perfekte Schwester. Die sich im übrigen nicht die Mühe machte, die Pfoten auf den riesigen Strohballen zu stellen und zu wedeln, sondern gleichgültig eingerollt in einer Ecke lag.
Meine Schwester wurde als Letzte geboren und war nicht nur die Zarteste, sie war tatsächlich auch die Schönste von uns fünf. Reinweißes Gesicht, pechschwarze Ohren, keine halb schwarz, halb weiße Rute, wie ich. Dazu alle Pfoten gleichmäßig weiß bis zu den Knien. Dagegen habe ich ganz viele kleine schwarze Punkte auf der Nase, meine linke Gesichtshälfte ist komplett schwarz, meine rechte voller grauer Flecken, mein linkes Vorderbein ist nur zur Hälfte schwarz, mein Hinterteil komplett. Als hätte ich eine Hose an. Plus diese beiden großen schwarzen Flecken, die wie ausgefranste Kreise im ansonsten weißen Fell aussehen.
Sie interessiert sich nicht für dich, hechelte also mein übergewichtiger Bruder bedauernd, als T mich ignorierte. Sie sieht dich nicht mal an, japste er und biss mir zum Trost in die Pfote. Es war, als hätte mich jemand von der Zitze meiner Mutter weggerissen, obwohl ich doch gerade erst zu trinken begonnen hatte. Ich hatte mich in T verliebt, und die sich in den Star unserer Familie: Meine Schwester. Ich denke, dass war die erste große Enttäuschung meines Lebens. Ich ließ mir nichts anmerken. Bewahrte noch einen Moment Haltung, dann verzog ich mich unter die rote Lampe, machte mich ganz klein und kniff die Augen zu. Ich wusste ganz sicher, dass T mein Lebensmensch war. Sie und niemand sonst.
Da ich mich in die Ecke verzog und trauerte, weil T meine Schwester, statt mich mitnehmen wollte, hörte ich nicht, was Bauer G sagte. Das hat mir T erst später erzählt. Bauer G hat gesagt: Tut mir leid, aber alle Welpen sind schon vergeben. T war darüber traurig. Und ärgerlich. Sie hat Bauer G gefragt: Aber warum haben Sie das nicht schon am Telefon gesagt? Dann wäre ich doch überhaupt nicht vorbei gekommen. Bauer G sagte, er hätte ein bisschen den Überblick verloren, weil so viele Zweibeiner sich auf seine Zeitungsannonce gemeldet hatten. Und weil ja auch immer die Möglichkeit bestünde, dass die Interessierten dann doch kein Interesse mehr hätten. T hat gesagt: Schade. Ich bin freiberuflich tätig und hätte viel Zeit. Außerdem wohne ich in einem Haus mit großem Garten. Da hat Bauer G genickt und noch mal gesagt, dass es ihm sehr leid täte.