Einkaufen mit Hündin Milla

12:22:00 – Belohnungslecker

In meinem ganzen Leben war ich noch nie so müde. Doch. Als ich geboren wurde. Und doch ist es jetzt anders. Nicht schlechter, nicht besser. Nur seltsam. Ich fühle mich leicht wie weißer Löwenzahnflaum, der halt- und ziellos durch die Luft gleitet. Gleichzeitig spüre ich eine tiefe, dunkle Schwere. Ich möchte mich bewegen. Meine Augen öffnen, um zu sehen, ob T noch da ist. Ihr die Hand waschen. Mit ihr durch den Park laufen. Und möchte es auch nicht. Es ist so angenehm, sich wie ein schwereloser Stein zu fühlen. Wie lange dauert es normalerweise?, höre ich T sagen. Ich kann nicht sagen, wie ihre Stimme klingt. Nur, dass es die Stimme von T ist. Die Antwort ist kaum zu verstehen. 15, maximal 30 Minuten, sagt die Stimme, die nicht T gehört. Oder ist es doch ihre? Bin ich mit T allein?

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Es hat eine Menge Vorteile mit T allein zu sein. Einer ist, ich muss meine Geschenke von T mit niemandem teilen. T nennt meine Geschenke übrigens Belohnung. Beide meinen wir kleine Kekse, Kaustangen, Wurst- oder Käsestücke, Ochsenziemer, Schweineohren, kurz Lecker. Damit hat T mich als Welpe motiviert Vokabeln zu lernen. Sitz, Platz, Halt, Fuß, ins Körbchen– lässt sich alles doch viel schneller merken, wenn eine Belohnung winkt. Noch heute hopse ich gerne auf einen Baumstamm; balanciere über ihn, sitze so lange auf ihm, bis T findet, ich habe genug Gleichgewichtsgefühl bewiesen. Neben einem hellstimmigen Lob gibt’s immer auch ein Lecker.

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Inzwischen bekomme ich kulinarische Geschenke auch noch aus anderen Gründen. An erster Stelle steht gutes Benehmen. Gefolgt von einem erfüllten Wunsch oder Hilfe (Regenschirm tragen, Werkzeug holen, Stöckchen / Ring / Ball bringen). Oder wenn T ein schlechtes Gewissen hat, weil sie so lange ohne mich unterwegs war.

Manchmal ist der Grund für ein Belohnungsgeschenk allerdings nicht nachvollziehbar, vielmehr hochgradig verwirrend. Raus aus meiner Küche, sagt T beispielsweise sehr streng, wenn sie kocht. Und meint den Abstand von zwei Hundelängen zu ihren Füßen. Perfekte Distanz übrigens für T’s Gruß aus der Küche in Form von über den Boden rollende Mohrrübenstückchen oder fliegenden Gurkenscheiben. Die betrachte ich stets als Belohnung für meine respektvolle Zwischenraumeinhaltung. Irritierend ist allerdings, dass raus aus meiner Küchebei der Säuberung eines Joghurtglases oder eines Sahnebechers nicht mehr gilt. Dann steht T nämlich mitten in ihrer Küche, hält mir das Joghurtglas oder den Sahnebecher hin und ich bin plötzlich gern gesehener Gast in ihrer Kocharena.

Lerne: Erwarte von T immer das Unerwartete. Also bin ich allzeit bereit und flexibel. Besonders, wenn es um fressbare Belohnungen geht, aus welcher Konsistenz auch immer.

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Vor unserem Umzug gab es nur wenige Möglichkeiten, außer der Reihe ein Lecker abzugreifen. Klar, Öpa hebt immer Kartoffeln für mich auf. Genau genommen verzichtet er für mich, wenn T unseren Besuch ankündigt. Inzwischen kocht seine M immer ein paar mehr. Diese Kartoffeln – manchmal sind es auch Nudeln – sind Öpas Begrüßungsgeschenk für mich. Und seine M hält im Keller eine Kiste voller Kekse für mich bereit. Aber abgesehen von dieser innerfamiliären Verpflegung sah es in der alten Heimat eher lau an der aushäusigen Leckerfront aus. Die sicherste Bank war der Uhrenladen von G. Genauer gesagt ihre Küche. In der saß immer Oma R. An einem Tisch, auf einem Stuhl vor dem Fenster. Vor sich eine Tasse Kaffee. Immer glühte eine Zigarette zwischen ihren knochigen Fingern, auf denen viele goldene Ringe steckten. Durch ihre große Brille schaute Oma R mich an und knarzte: Das ist aber nett, dass du mich mal wieder besuchen kommst. Ich ließ mir von ihr den Kopf tätscheln und bekam im Gegenzug eine Scheibe Wurst. Zwei, wenn T mit G im Hinterhof war.

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Heute bekomme ich viel mehr Geschenke. Und regelmäßiger. Wenn T fragt: Willst du mit auf den Markt?,dann weiß ich, es geht auf großen Beutezug inklusive vieler, sehr vieler Belohnungen. Einfach nur, weil ich T begleite. Weil wir das perfekte Team sind. Weil unsere regelmäßigen Besuchsrunden zum Wochenrhythmus gehören, an die sich alle gewöhnt haben. Nicht nur T und ich, sondern auch die, denen wir ein schönes Wochenende wünschen. Wenn T also fragt, ob ich mit auf den Markt will, ist das eine rein rhetorische Frage. Natürlich will ich mit. Und natürlich starten wir immer bei Blumen-A.

Hier gibt es die ersten zwei Kekse. Dann drücke ich vor lauter Liebe und Dankbarkeit und dem mir angeborenen Streicheldefizit meine Nase zwischen Blumen-A’s Knie. Blumen-A nennt mich dann du olle Knutschbacke, und krault mich. Sehr ausgiebig. Nach dem Kraulen darf ich nach hinten und nachsehen, ob Blumen-A beim Frühstück irgendwas unter den Tisch gefallen ist. Passiert nicht oft, aber passiert. Abschließend schlürfe ich aus einem der Wassereimer, in dem keine Blumen wachsen, während T und Blumen-A miteinander lachen.

Nächster Halt: Die Apotheke meines Vertrauens, wie T es nennt. Weil T regelmäßig Medikamente braucht, gehen wir eben regelmäßig zu J. Sie steht in ihrem weißen Kittel in dem kleinen Raum voller großer Schachteln und Tuben und schenkt mir (fast) immer einen langen, weichen, dünnen Keks. Nach Rücksprache mit T auch noch einen zweiten. Auf einem Bein kann man schließlich nicht stehen, sagt J immer. Entschuldigung?! Ich bin ein Vierbeiner. Aber vier Kekse habe ich trotzdem noch nie von J bekommen. Manchmal hebt J aber auch die Hände und entschuldigt sich bei mir: Allealle. Und zu T sagt sie: Tut mir leid. Ich habe noch keine neuen besorgt. Was T kein bisschen empörend findet. Zumal J dann quasi als Entschädigung ihren Tempotaschentuchtröstertrick versucht. Soviel kann T gar nicht weinen, wie sie inzwischen von den Dingern hortet. Abgesehen davon, Taschentücher können nicht das Gefühl ersetzen, wirklich Verantwortung zu tragen. Deswegen beiße ich nach fehlender lukullischer Vorschussbelohnung die Zähne zusammen. Es sei denn, T überlässt mir statt der weichen Plastikpackung ihre stabile Medikamentenpappschachtel.

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