Herr H war verantwortlich dafür, dass das große, kaum eine Pfote breit über dem Wasser unkontrolliert schaukelnde Floß durch die Havel pflügte. Mit einem aufdringlichen, monotonen rrrrohhrrrgrraaaarrrggggrrrrr. Es knatterte und ratterte sehr laut, egal wie eng ich meine Ohren an den Kopf presste. Und dieses bullige, kollernde, dröhnende rrrrohhrrrgrraaaarrrggggrrrrr übertrug sich von den warmen, holzigen Bohlen über meine schwitzenden Pfotensohlen bis in jede Fellspitze.
An diesem Tag war es mir egal, dass ich mich von meiner unhöflichsten Seite zeigte, ein bibbernder Spielverderber war. Ich gab keinen Laut von mir, rief keiner einzigen Ente, keiner Möwe, keinem anderen Boot ein freundliches Hallo, wie geht’s? zu. Alles was ich konnte, war zittern, mich zwischen die schützenden Beine von D oder Buch-K drücken und dabei wie paralysiert das rettende Ufer im Blick zu behalten.
Etwas besser wurde es erst, als T sagte: Picknickpause. Es wurde jetzt beinahe still. Herr H hatte den Motor ausgestellt. Doch wir waren immer noch auf dem Wasser. Was ich für einige Augenblicke vergessen konnte, da alle Gäste ihre Plastikdosen öffneten. Der Duft von Nudelsalat und Fleischbällchen und Melone und Weintrauben und Käse und Wurst lenkte mich ab. Aber natürlich war es wie immer: Ich durfte nur riechen, nicht schmecken. Eigentlich. Denn sowohl Buch-K als auch Zwillings-S schenkten mir die eine oder andere Weintraube. Ich muss gestehen, geschmeckt habe ich nichts. Mein Blick war die ganze Zeit auf den Horizont gerichtet, da, wo vertrautes Grün zu sehen war. Das sanfte Schaukeln, das Lachen von T und ihren Freunden, die Sonne – all das spornte mich nur noch mehr an, mich wenigstens in Sicherheit zu denken. Viel zu kurz war die Ruhe. Viel zu kurz der Moment, um durchzuschnaufen und die Angst über Bord zu schubsen. Schon rrrrohhrrrgrraaaarrrggggrrrrrte es wieder.
Wir hatten bei unserem Ausflug das, was Zweibeiner schwärmerisch als Bilderbuchwetter bezeichnen: sonnig, sehr warm, blauer Himmel ohne Wolkenkissen. T war mittlerweile auf das Floßdach geklettert. Ihr Glück und ihr Lachen flossen herab, sickerten in jede Holzpore und umhüllten das gesamte Boot. Nur um mich machte T’s Glück einen Bogen. Vielleicht weil ich mich von D überreden ließ, mit ihr unter dem Dach zu warten, bis es endlich vorbei war? Zwar war ich jetzt vor der Sonne geschützt, aber hier bebten die Planken noch viel schlimmer und das Dröhnen des Motors war noch unerträglicher. Also tapste ich langsam und vorsichtig zurück zu Buch-K, die mir erzählte, wir würden gerade das Schloss sehen; jetzt die Pfaueninsel umschiffen; durch einen Kanal fahren; dahinten Sacrow sehen; bald wieder zu Hause sein.
Endlich stoppte Herr H den Motor erneut und plötzlich schaukelte das Floß nicht mehr auf dem viel zu beweglichen Wasser, sondern rutschte und scheuerte über etwas hartes. Es gab einen Ruck, der mich beinahe von den Pfoten geholt hätte. Und was sahen meine verängstigten Augen? Schilf. Sand. Wiese. Bäume. Sträucher. Ein Haus aus Stein. Alle aussteigen, sagte T und ich brauchte keine Extraaufforderung. Ich sprang als erste von Bord. Spürte den feuchten, warmen, vertrauten Sand unter den Pfoten und tanzte vor Freude lauthals über den festen Boden. Dann folgte ich T in rasantem Tempo ein paar Stufen hinauf, tobte übermütig über eine Wiese, erleichterte mich erleichtert und hatte sofort vergessen, wie ich überhaupt hierher gekommen war. Überflüssig zu erwähnen, dass meine Wünsche an diesem Tag niemanden interessierten. Überflüssig zu betonen, dass ich mit allergrößter Ausdauer um den See herum nach Hause gelaufen wäre. Alle zurück an Bord, rief T, komm Milla, es geht weiter. Weglaufen? Verstecken? Tot stellen?
Immerhin: Nach dieser Pause betrat ich das Floß etwas mutiger. Ich wusste ja, was auf mich zu schlingern würde. Es war nicht mehr ganz so unheimlich, auf, statt im Wasser zu schwimmen. Meine Alarmbereitschaft sank auf die erträgliche Stufe 1. Auch dank der unermüdlichen, moralischen Kuschelunterstützung von Buch-K. T hielt jetzt den Motor in Zaum, ich sah ihre Augen leuchten. Nein, alles an ihr leuchtete. Ich spürte, wie sie innerlich tanzte und roch ihre Dankbarkeit und ihr absolutes Glück, das sonnenstrahlenwarm alles durchdrang. Ich rief T laut zu, dass es für mich in Ordnung sei, hier, mit ihr, auf diesen zusammengenagelten Brettern, mitten auf dem See.
Als wir endlich wieder in unserem Garten waren, in den dann noch mehr Zweibeiner kamen und jemand Holz zum Knistern brachte, und mich der Duft von Würstchen ganz schwindelig machte, da hockte sich T neben mich, schlang ihre Arme um meinen Hals und flüsterte mir zu: Danke, mein Baby, das war sehr tapfer von dir. Und dann tat sie etwas, was sie noch nie getan, und bis heute auch nicht wiederholt hat: Sie schenkte mir eine Wurst. In zwar empörend kleine Häppchen geschnitten – aber eine echte Bratwurst vom Grill. Und dann tatsächlich noch eine Zweite.