Verstehe einer die Zweibeiner. Wenn T Salz aus den Augen fällt, wenn ihre Stimme zittert oder sehr leise ist, dann weiß ich: T ist traurig. Aber warum ist sie es jetzt? Es gibt gar keinen Grund. Es geht mir großartig. Es ist gemütlich, ich habe keine Schmerzen. Gar keine. Und nur weil ich müde bin, muss T doch nicht traurig sein. Um sie zu beruhigen und zu trösten, lecke ich T ein bisschen schlapp über die Hand. Nein, nein. Nicht halbherzig. Voller Liebe und Hingabe. Aber eben doch nur einmal. Ich hoffe, sie liest meine Gedanken. Wie herrlich es ist, dass meine Hinterläufe sich nicht mehr anfühlen, als hätte ich spitze Splitter darin. Wie leicht ich mich fühle. Weil der Schmerz schweigt. Nein, ich werde nicht aufstehen. Obwohl ich es könnte.
Ich gestatte mir stattdessen eine leichte Kopfdrehung, so dass ich Dr. C sehen kann. Und plötzlich martert mich statt Schmerz ein Gedanke: Was, wenn meine verschwundenen Schmerzen und alles andere, was Dr. C befürchtet, aber nicht passiert, mit dem Piks zusammenhängen, der nicht gepikst hat. Ursache und Wirkung und so. Vielleicht wird T von Dr. C deswegen nicht gepikt, damit T nicht übel wird oder sie unkontrolliert oder unruhig herumläuft? Ich bin überzeugt, das ist der Grund. Mit aller Kraft versuche ich Dr. C dazu zu bringen, meine Gedanken zu lesen. Piks doch T ein bisschen. T braucht auch so einen Piks, denke ich angestrengt, während ich Dr. C auf dem Thron nicht aus den Augen lasse. Schenk ihr auch einen. Bitte! Na, los. Mach schon.
T hat nämlich auch scheußliche Schmerzen. Auch im Rücken. Bestimmt schon seit vergangenem Sommer. Und die werden seitdem immer heftiger. Vor allem, seit sie ihr Körbchen neben meins gerückt hat. Das war, als die Sonnenblumen bei uns am Gartenzaun zu den Nachbarn rüber blinzelten und meine Nächte schon sehr unruhig waren. Milla schläft wie ein Stein, hat T immer behauptet. Wenn hier mal jemand einbrechen würde, Milla würde es glatt nicht mitkriegen. Ha! Lächerlich! Ich bin jedes Mal hellwach, wenn T mitten in der Nacht ins Bad taumelt. Oder früh um drei runter kommt, weil sie Durst oder Hunger hat. Ich rühre mich nur deswegen nicht, weil ich weiß, dass kein Einbrecher, sondern T im Kühlschrank kramt. Von Steinschlaf kann ich nur träumen. Oft schleiche ich durch das Wohnzimmer, in der Hoffnung, dass der Schmerz sich schleicht. Tut er aber nicht.
Also hat T ihr Körbchen samt Inhalt die Wendeltreppe runtergezerrt und neben meins gelegt. Gemütliche Geborgenheit, hat T unser gemeinsames Schlafen auf dem Boden genannt und ihre Hand auf meinem Nacken gelegt. Ihre Hand wiegt nicht viel. Wirklich. Aber dieses bisschen Gewicht hat den Schmerz verstärkt. Ich habe mir den Gedanken verkneifen wollen, wie weh diese eigentlich geliebte Berührung tut. Aber natürlich hat T ihn sofort gelesen. Seitdem legt sie ihre Hand auf meine Pfote.
Warum ich diese Schmerzen habe, weiß ich nicht. Warum T Schmerzen hat, weiß ich sehr wohl: T ist unglücklich. Unzufrieden. Und sie macht sich Sorgen. Weil niemand mehr ihre Arbeit will und sie Angst hat, dass wir aus unserem schönen Haus ausziehen müssen. Und weil Öpa so krank ist.
T ist oft ganz krumm, wenn sie aufsteht. Zuckt zusammen, wenn sie geht. Und dann stöhnt sie sehr leise. Wenn immer alles weh tut, dann macht das mürbe. Und wenn ich ehrlich bin, sind T und ich inzwischen ziemlich mürbe. Außer schlafen möchten wir am liebsten gar nichts tun. Seit das Laub am Zaun bunt ist, machen wir das auch fast nur noch. Kurz zum Blumenladen, frühstücken (T streut Pulver in mein Futter und mogelt Tabletten dazu), zurück ins Körbchen. Wieder kurz zum Blumenladen. Noch mehr Pulver und noch mehr Tabletten. Wieder schlafen. Aufregend ist anders. Dafür beinahe erholsam.
Als Dr. C vorhin zu uns gekommen ist, hat die alte Uhr auf dem Bücherschrank einmal gebimmelt. Ich war unruhig und hatte Schmerzen. Als Dr. C mich gepikst hat, schlug die Uhr 12 Mal. Jetzt bin ich ruhig und ohne Schmerzen und T sagt leise: Alles ist gut, Milla. Und sie gibt mir einen dieser sehr zarten Küsse auf die Nase. Ich habe übrigens eine breite, große, schwarze, sehr hübsche Nase. Immer feucht, immer glänzend. Und wenn T mich darauf küsst, kitzelt das ein bisschen. Nach dem Kuss streichelt mir T über die Augen und wiederholt: Alles gut. Ich bin da. Ich liebe dich. Sie gibt sich Mühe, ruhig zu klingen. Ich genieße ihre warme Hand. Wenn T sagt, alles ist gut, dann ist auch alles gut. Ich brauche nichts weiter zu tun, als mich wohl zu fühlen. Tue ich. Und fixiere noch ein bisschen Dr. C, damit sie T endlich pikst. Alles wird gut, sagt jetzt auch Dr. C.