12:04:41 – Kuhkommunikation

Während ich da so mit erhobener Pfote witternd vor dem summenden Zaun stand, wurde mir klar, warum mir diese massigen Ungetüme so vertraut vorkamen: große, schwarze Flecken auf weißem Fell. Genau wie bei mir. Während mir diese frappierende Ähnlichkeit klar wurde, schien der Zaun den Kühen zu verraten, dass sie einen Gast hatten. Wie auf Kommando hielten alle mitten in ihrer breitmäuligen Mahlarbeit inne. Eine nach der anderen hob langsam ihren Kopf, drehte ihn in meine Richtung. Ein schwarz-weißer Bonsai-Titan, wirklich kaum größer als ich, rannte auf mich zu – und blieb dann wie angewurzelt und stumm stehen. Er starrte mich aus unglaublich großen braunen Augen an. Ich starrte zurück.

Offensichtlich funktioniert Kuhkommunikation per Gedankenübertragung. Im Gleichschritt trabten plötzlich alle Schwarz-Weißen auf mich zu, reihten sich Schädel an Schädel neben ihrem Nachwuchs auf. Um sich erneut in Bewegungsunfähigkeit zu üben. Sie kauten nicht. Sie schlugen weder mit ihren Schwänzen nach frechen Fliegen noch verscheuchten sie sie mit ihren großen glänzenden Zungen von ihren breiten Nasen. Neun Paar braune Kulleraugen mit sehr langen Wimpern glotzten mich schweigend an. Ich war nicht weniger überrascht als die hypnotisierte Meute. Den Bann des stillen Starrens durchbrach schließlich T, die meinen Namen rief. Das erinnerte ich mich an meine gute Erziehung. Ich tänzelte den Zaun entlang, ließ die Kuhreihe nicht aus den Augen und rief, nun lauter und selbstbewusster: Hallo, die Damen. Ich bin Milla. Ich bin ein Dalmasenn.

 Als einzige Reaktion drehten sie alle mit derselben Tranigkeit ihre Quadrathäupter, folgten meinen Bewegungen lediglich mit den Augen. Kühe, so viel ist klar, reagieren wie sie fressen: gaanz langsam. Und genau das weckte meinen Ehrgeiz. Ich wollte eine Reaktion! Eine richtige. Ein echte. Am besten eine laute. Inklusive Bewegung. Oder wenigsten eine, die über das Zeitlupendrehen von dicken Schädeln hinausging. Ich eilte also zurück zur ersten Schwarz-Weißen und hopste ein bisschen vor dem Zaun hin und her. Nichts. Ich galoppierte ans andere Ende des Zauns. Wiederholte meine Begrüßung, noch ein bisschen selbstbewusster, und rannte zurück zu T und C. Nichts. Ratlos stellte ich mich neben sie. C lachte und rief über den Zaun: Seid ihr taub, oder was?

Das war offensichtlich das Stichwort. Zumindest für den Winz-Titan. Der warf reichlich ungelenk die Hinterbeine in die Luft, sprang dann mit allen Vieren gleichzeitig hoch. Galoppierte hin und her. Vor und zurück. Dann im Kreis und wieder auf mich zu. Ich war begeistert und versuchte die Choreografie nachzutanzen. Offensichtlich ein grober Fehler. Vielleicht fühlte er sich nicht ernst genommen? Jedenfalls, der Winzling wurde zu Stein. Staunte stumm, sah zu seiner Großfamilie – und begann Grashalme zu zupfen. Wie enttäuschend!

Wenn ich etwas wirklich will, kann ich sehr ausdauernd sein. Also versuchte ich es nun mit noch mehr Energie, erhob meine Stimme und rannte noch schneller von rechts nach links. Ich hechelte, rief und lief. Und endlich! Endlich kam Bewegung in die träge Herde. Vielleicht hatte es einfach so lange gedauert, bis ihre Hirne verarbeitet hatten, was ihre Augen sahen. Jedenfalls trabten die acht Hünen und ihre Mini-Ausgabe Kopf an Kopf hinter mir her. Blieb ich stehen, stoppten auch sie. Lief ich weiter, trabten sie in meine Richtung. Und – Überraschung! – mit einem Mal fanden sie auch ihre Sprache wieder. Sie hatten unglaublich tiefe Stimmen. Durchaus angenehm, dieses volltönende Muuuuuuuuhhhhh. Ihre sehr laute, kollektive Frage: Wieso bist du nicht bei uns? Komm gefälligst rein, du Ausreißer!, beantwortete ich mit noch lauterer Stimme: Weil ich ein Hund bin! Sie wiederholten ihre Aufforderung einstimmig, als hätten sie mir nicht zugehört oder nicht verstanden. Also wiederholte ich nun meine Erklärung. Und sie ihre Aufforderung. Erklärung – Aufforderung – Erklärung … In den wunderbaren Kanon aus Gemuhe und Gekläffe mischte sich das herrlich verrückte Lachen von C. Die albernen Dinger glauben, Milla ist ihre Verwandte, hat C gerufen und ist beinahe erstickt an ihrem Lachen.

Und was tat T? Sank neben mir auf die Knie, umarmte mich auf ihre stürmische Art: Na, dann, meine kleine Kuh, sagte sie, ich schätze, du wurdest gerade adoptiert. Meine Freude verpuffte sofort. Ich war erschrocken. Nicht sicher, ob T es ernst meinte. Wollte sie mich wirklich dieser phlegmatischen Herde überlassen? Sollte ich in Zukunft auf einer Weperweide stehen und grasen?? Ich war zwar definitiv kein Pferd – war ich am Ende etwa doch eine kleine Kuh??? Aber dann bekam ich einen warmen Kuss auf die Stirn und T flüsterte: Du bist und bleibst der schönste Hund der Welt. Mein einziges, geliebtes, kleines  Köterkind.

Soviel zu meiner winzigen Identitätskrise, die in Wahrheit nie eine war. Maximal von Zweibeinern gemacht.

countdown Milla

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