Milla in der Hundeschule

12:02:39 – Feldwegköstlichkeit

Offensichtlich stehen Schönheit und Futter und Arthrose irgendwie in Zusammenhang. Denn auch wenn T mir jeden Tag, wirklich JEDEN Tag, sagt, du bist der schönste Hund der Welt, sagt sie leider eben auch: Einer von uns muss schlank bleiben – und das bist du. Im Klartext: T öffnet verlockend knisternde Tüten – und kaut deren Inhalt (am liebsten Gummibärchen, aber zur Not auch Schokolade oder Salzstangen) nicht weniger gierig als ich, wenn mir der Magen bis zu den Pfoten hängt. Aber gibt sie mir je was ab? Nein. Nie. Also, fast nie. Wenn ich so tue, als interessiere es mich überhaupt gar nicht, was T so munter vor sich hin knabbert, dann passiert es eben doch manchmal, dass eine Salzstange vor meiner Schnauze wackelt. Aber das ist schon selten.

T nennt ihr Verhalten konsequent. Auf Konsequenz könnte ich gut und gerne verzichten. Auch wenn ich zugeben muss, es macht das Erlernen von Regeln einfacher. Man weiß immer, woran man ist. Aber glücklicher macht diese Konsequenz mich trotzdem nicht. Am Anfang hat sie mich sogar komplett überfordert.

Wie damals, als wir noch auf dem Land wohnten, und ich so vieles zum ersten Mal erlebte. Den Geruch von Pferdeäpfeln, zum Beispiel. Sie duften nach warmer Wiese und Sonne und absolutem Genuss. Das Beste: Sie liegen einfach so rum. Herrliche, herrenlose Haufen, die scheinbar nur auf mich warten. Ihrer magischen Anziehungskraft kann ich mich übrigens erst seit einigen Jahren entziehen. Und das auch nur unter allergrößter Willensanstrengung.

Genüsslich und alles andere als gierig, das möchte ich an dieser Stelle betonen, knabberte ich damals also meinen ersten Pferdeapfel. Befand ihn für köstlich. Und nahm deswegen einen zweiten, größeren Happs. Absolut davon überzeugt, dass T ihn nur für mich dahin gelegt hatte, um mir eine Freude zu machen. Was für eine herrliche Überraschung, dachte ich. Und als T dann auch noch plötzlich aus einiger Entfernung brüllte: S p u c k a u s!, da hielt ich das für ein erfreutes Lob und fühlte mich bestätigt: T war begeistert, dass ich ihr Geschenk gefunden hatte und entsprechend würdigte. Wobei, ihr strenger Ton und die Lautstärke hätten mich stutzig machen sollen. Haben sie aber nicht. Weil ich sehr konzentriert kaute, überhörte ich die feine Nuance. Auf einmal stand T, eben noch etliche Meter entfernt, direkt neben mir. Bevor ich reagieren konnte, spürte ich einen harten Griff um meine Schnauze. Es war, als würde meine Mutter mich maßregeln. Ich war verwirrt. Warum tat T das? Sie hatte mich noch nie so gemaßregelt. T stupst mir höchstens mal mit den Fingern gegen die Nase und sagt warnend Nein, wenn meine Schnauze zu dicht über dem Wurstteller auf dem Beistelltisch hängt (was inzwischen ja auch nicht mehr vorkommt.)

Hündin Milla

T’s feste Hand um meine Schnauze signalisierte mir, irgendwas war falsch. Ohne es verhindern zu können, klappte mein Maul auf und T fuhrwerkte grob mit ihren Fingern in meinem Maul herum und wiederholte: Spuckaus. Ich würgte unter allergrößtem Bedauern die Feldwegköstlichkeit aus, während T polterte: Ich will nicht, dass du dich vergiftest! T hat mir dann ruhiger erklärt, es gäbe bescheuerte Zweibeiner, die Hunde hassen und deswegen Gift oder Glassplitter oder Nägel in Würstchen stecken. (Pferdeäpfeln hat T in diesem Zusammenhang allerdings nicht erwähnt.) Aus Angst hat T mir mit absolut unerbittlicher Konsequenz beigebracht, nie mehr von Feldwegen (oder später von der Straße) zu fressen. Lektion gelernt: Spuckaus ist nichts Positives, nicht mal der Hauch von einem Lob. Inzwischen muss T spuckaus nicht mal mehr aussprechen.  Ein tiefes, knurriges Hmmmnnnneeeaa von T und ich lasse alles fallen. Brötchen, Burgerreste, sogar mein Schweineohr.

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Eine Freundin aus der Welpenschule, Tammie, hat immer behauptet, sie würde sich von niemandem nichts verbieten lassen. Ihr Tipp: schnell fressen! Am besten direkt runterschlucken. Zur Not kauend wegrennen. Auf jeden Fall: sämtliche Zweibeinerrufe ignorieren. Und wenn gar nichts mehr geht – zubeißen. Hat sie getan. Immer und immer wieder. Belohnt wurde das von ihrer Zweibeinerfamilie übrigens mit einem Maulkorb. Tammie, ein rabenschwarzer Schäferhundmischling, ist nicht die Einzige, die mir diesen fragwürdigen Tipp gab. Allerdings ist sie die Einzige, von der ich weiß, dass sie von ihrer Familie nach kurzer Zeit ins Tierheim abgeschoben wurde.

T hat Tammies Zweibeiner gespielt ahnungslos gefragt, warum Tammie für Futter wohl alles aufs Spiel setzt: Schläge, eingesperrt sein. Sogar hungern. Der Zweibeiner hat gesagt, Tammie sei ein rebellischer Dickkopf, nicht zu erziehen. Das war T’s Stichwort und sie hat betont nachdenklich Konsequenz vorgeschlagen. Worauf der Zweibeiner behauptete, er sei ja konsequent. Nur seine Frau eben nicht. Er könne es nicht ändern. T war einigermaßen fassungslos. Ein Hund ist doch kein Möbelstück, hat sie später zu mir gesagt. Wie kann man nur so verdammt ignorant sein? Man muss doch als Paar an einem Strang ziehen. Wie schwer kann es denn sein, ein paar Spielregeln festzulegen?

Milla in der Hundeschule

Verstehe ich auch nicht. Verstehe ich auch nicht. Klar, hin und wieder gibt es auch bei T und mir ein kleines Kräftemessen – wer ist das Alphatier, wer hat das Sagen, wer geht zuerst durch die Tür, solche Geschichten. T gewinnt immer. Weil ich T als Asphaltier respektiere. Weil mir ihr Verhalten Sicherheit gibt. Außerdem finde ich es eine absurde Vorstellung, Spielregeln nicht einzuhalten. Egal, was T je sagen oder tun wird, NIEMALS würde ich sie beißen. Viel einfacher ist es doch beispielsweise zu trödeln, so dass T gar nicht mitbekommt, wenn was Essbares zufällig meinen Weg kreuzt. Außerdem bilde ich mir ein, Gift riechen zu können. Und abgesehen davon lösen Pferdeäpfel und alles, was Zweibeiner draußen achtlos wegwerfen, kaum noch Fressgelüste in mir aus. Auch, weil ich T’s Griff um meine Schnauze nie vergessen habe. Und weil ein Zweibeiner, der mal bei uns zu Besuch war, gesagt hat: Appetit hol ich mir draußen, gegessen wird zuhause. Da weiß ich, was ich kriege. Recht hat er. Genauso mache ich es auch. Jedenfalls meistens.

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