Sie macht das vorbildlich, höre ich wie durch Watte die Stimme von Dr. C. Was genau vorbildlich daran ist, dass ich mein Wolkenliegen genieße, weiß ich nicht. Oft erbrechen sie unkontrolliert und rennen unruhig hin und her sagt Dr. C. Aha. Wer jetzt? Also mich kann Dr. C mit sie nicht meinen. Warum sollte ich?
Unruhig renne ich nur hin und her, wenn ich weiß, dass T wegfahren will und befürchte, dass sie mich nicht mitnehmen wird. Unkontrolliert ist lediglich meine Freude, wenn meine Unruhe berechtigt und T ohne mich weg war, und dann zurück nach Hause kommt. Dann bin ich wie ferngesteuert. Hüpfe um T herum, an ihr hoch, schlinge meine Vorderpfoten um ihren Bauch. Meine Rute verwandelt sich einen Propeller. Meine Stimme (Tenor) kippt und ich singe (Mezzosopran). Gleichzeitig quetsche ich mich durch T’s Beine, vor und zurück und noch mal und noch mal. Jedes Mal. Jedes Mal ein bisschen mehr.
Am Anfang wusste ich ja nicht, ob T sich genauso freut mich wiederzusehen wie umgekehrt. Aber nachdem ich begriffen hatte, dass sie mich offensichtlich genauso vermisst hat wie ich sie, tja, da gönne ich uns eben ein bisschen ausflippen. Manchmal wirft sich T zu mir auf den Boden und zieht mich an sich. Schlingt ihre Arme um mich, legt ihren Kopf auf meinen Rücken. Ein bisschen übergriffig zu sein, das gehört nun mal zu T wie ihr Lachen. Aber, was zu viel ist, ist zu viel. T hat schnell gelernt, dass mir solche Frontalangriffe unangenehm sind. Sie startet sie nur noch ganz selten. Wenn es manchmal trotzdem über sie kommt und sie mich drückt, als wolle sie mich nie wieder loslassen, und ich mich ihr entziehe, nimmt T es mir nicht übel.
Kann auch sein, dass ihr übel wird, sagt Dr. C gerade. Wieso sagt Dr. C ausgerechnet jetzt übel? Ach, ja. Dr. C kann ja auch Gedanken lesen. Ist entgegen der landläufigen Meinung übrigens keine Zauberei. T hat zwar ein bisschen gebraucht, bis sie es konnte. Inzwischen liegt sie kaum noch daneben. Übel genommen habe ich ihr das nie.
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Als ich noch als kleines, dickes Ding durchs Leben hopste, nicht viel mehr konnte als trinken und toben und schlafen, aber bereit war, T zu lieben und alles zu tun, damit sie mich genauso liebt, waren wir beide miserabel im Gedankenlesen. T wusste zum Beispiel nicht, wann meine Welpenblase zum Überlaufen voll war. Bei Bauer G war das ja egal. Da ließ ich es laufen, wo ich gerade stand. Bei T durfte ich das nicht. Als ich es tat, blieb ihre Stimme zwar freundlich, aber sie hob mich hoch und trug mich die steile Treppe runter, setzte mich ins Gras und sagte streng: Pinkeln.
Ja, in der ersten Zeit mit T jagte eine Herausforderung die nächste. Gerade erst hatte ich verstanden, was sie meinte, wenn sie Platz oder Sitz oder ins Körbchen sagte. Oder, meinen Lieblingssatz, Futter für den Hund. Jetzt musste ich also begreifen, was sie mit pinkeln, na, los, pinkeln meinte.
Am Anfang wog ich ja nur neun Kilo. Da war tragen kein Problem für T. Aber Bauer G hatte T geraten, mich das komplette erste Lebensjahr keine Treppen steigen zu lassen. Weil T alles richtig machen wollte, wir aber zu unserer Wohnung 15 glatte Stufen hochsteigen mussten, hat sie mich also getragen. Jeden Tag, sechs Mal runter und sechs Mal wieder hoch. Manchmal noch öfter. Gefallen hat mir das nicht besonders. Und ihr auch nicht. Wofür habe ich schließlich vier große Pfoten?
Es war K, die T den Tipp mit dem langen Brett gab. Also hat T eins besorgt, auf die Stufen gelegt und mir beigebracht, selber hoch und runter zu laufen. Von da an war dann pinkeln zu müssen fast schon ein sportliches Vergnügen. Ich hab dann schnell begriffen: Wenn’s drückt, vor die Tür stellen, ein bisschen hilflos gucken, ab aufs Brett nach unten. Um dann im Gras mein Bächlein zu fabrizieren. Oder ein Häufchen zu machen. Herausforderung angenommen – und gemeistert.
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Dr. C hat also die Befürchtung, dass mir übel wird. Dass ich unruhig werde oder unkontrolliert herumlaufe. Wird nicht passieren. Ganz sicher. Im Gegenteil. Ich fühle mich ausgesprochen wohl, bin entspannt. Jetzt könnten wir eigentlich unsere Runde durch den Park nachholen. Ok, wenigstens bis zur Bushaltestelle traben. Ich weiß doch, wie gerne T spazieren geht. Deswegen hat sie mich ja damals zu sich geholt. Ich liebe lange Spaziergänge, aber zu Zweit ist es einfach schöner, hat sie mir auf unserem ersten längeren Ausflug erklärt.
Da T im Moment aber offensichtlich nicht so richtig fit ist was das Gedankenlesen angeht, rolle ich mich etwas schwerfällig auf die Seite, um aufzustehen. Irgendwie ist mir in letzter Zeit der Schwung abhanden gekommen. Eins, zwei … Geschafft. Normalerweise freut sich T, wenn ich anzeige, dass ich raus will. Aber normal ist heute irgendwie gar nichts. Statt ihre Jacke anzuziehen, legt T mir jetzt die Hand in den Nacken und sagt: Bleib liegen. Es klingt freundlich, sanft. Aus Prinzip versteife ich mich ein bisschen, um klar zu machen, dass ich einen eigenen Willen habe und schon gerne aufstehen würde. Alles gut, sagt T und hat schon wieder Salz auf den Wangen. Ein Tropfen fällt auf meine Lefze, versickert, bevor ich ihn weglecken kann. Seltsam. Sehr seltsam. Aber gut, dann tue ich T den Gefallen und entspanne mich wieder. Denn genau genommen bin ich sowieso viel zu matt für eine Hunderunde.