Der Himmel war hellblau und leuchtete. Und während wir mit unserem Auto über einen ruckligen Weg holperten, hat T mir von ihrer Kindheit am Ederseeerzählt. Im hessischen Fürstental. Da hat sie schwimmen gelernt, segeln, surfen und paddeln. Sie hat Pilze gesucht; wilde Himbeeren an Feldrändern gepflückt; ist durch den Wald ins nächste Dorf gelaufen und hat Milch vom Bauern geholt. Abends hat sie mit ihrer Schwester C und vielen anderen kleinen und großen Zweibeinern am Lagerfeuer gesessen und die Mundorgelrauf und runter gesungen. Schaukel-Opa hat auf seiner Gitarre, Schaukel-Oma die Zitter gezupft. Wenn Vollmond war, hüpften alle vom Steg ins silbrige Wasser. Das schönste war aber, dass wir Kinder nicht bei unseren Eltern im Wohnwagen schlafen mussten, sondern unser eigenes Zelt hatten, hat T gesagt. Ich liebe das Geräusch vom Zeltreißverschluss. Es ist eines der schönsten Geräusche der Welt. Als sie das gesagt hat, ist ihr Gesicht weich geworden und ihre Augen haben geglitzert.
Jetzt waren wir also auf einem Campingplatz. Nicht am Ostmeer, sondern in der Mecklenburgischen Schweiz. Und unser Zelt stand nicht auf einer Wiese oder auf einem Holzboden, sondern unter Fichten. T’s Volleyballfreund R hatte uns eingeladen, seinen 30ten Geburtstag zu feiern, direkt an der Müritz. Als T das Wort Zeltplatz hörte, hat sie die Einladung sofort angenommen.
Während T unser Übernachtungskörbchen aus dünnem Stoff und leichten Stangen und Schnüren aufbaute, spielte ich mit R und seinen Zweibeinerfreunden am Strand. Sie ließen meinen Ring weit und hoch über das Wasser fliegen. Bevor er ertrank, stürmte ich hinein. Die Müritz schmeckt übrigens süß und plätschert nur sehr leise. Ich musste lange durchs Wasser waten, bevor winzige Wellen mich am Bauch kitzelten. Der Himmel verfärbte sich von leuchtend rot zu tiefblau, als T endlich unser Zelt aufgebaut hatte und zu uns kam. Mit R und den anderen Volleyball-Zweibeinern marschieren wir los, immer an der Wasserkante lang, einem weit entfernten, gelben Licht entgegen.
Das Licht wurde langsam größer, heller. Dann standen wir endlich vor einem Strandrestaurant mit vielen Zweibeinern, die laut und schräg sangen, lachten und noch lauter miteinander sprachen. Weil ich nass vom Schwimmen und Ring retten war, wollte der Restaurant-Zweibeiner, dass ich vor der Tür warte. R hat sich entschuldigt, weil er nicht wusste, dass nicht mal nicht-nasse Hunde mit in das Restaurant durften. T war wütend, wie immer, wenn ich von einer Veranstaltung ausgeschlossen werde. Tut mir leid, hat T zu R gesagt und klang enttäuscht und ärgerlich,aber das geht gar nicht. Ich lasse Milla nicht alleine da draußen.
Zumal es da draußen inzwischen beunruhigend dunkel geworden war. Kein einziger Stern war zu sehen. Stattdessen begann es zu regnen. Nicht, dass mir Regen etwas ausmacht. Schon gar nicht im Sommer. Aber dieser Regen war hart und kalt und gemeinsam mit dem Wind ließ er die eben noch ruhige See brodeln. Genau wie T wurde ich mit jedem Regentropfen unruhiger. Rechts von uns tobte das tiefschwarze Wasser, links bogen sich mit lautem Knarren die Fichten und bewarfen uns mit Zapfen. Der Himmel und das Wasser verschmolzen zu einer schwarzen Wand. T hat selten Angst vor Wetter. Aber an diesem Abend war sie sehr beunruhigt. Ich fürchte, wir haben ein Problem, Puppy, hat sie gesagt und ich roch, wie die Angst in ihr hochkroch. Action, sagte sie. Und sprintete los.
Obwohl ich Wettrennen liebe und gegen T immer gewinne, überholte ich sie nicht. Zu unheimlich die Umgebung, zu unbekannt das Terrain. Mein einziger Ehrgeiz war, T nicht aus den Augen zu verlieren. Mit fliegenden Ohren und heraushängender Zunge klebte ich an T’s Seite. Ich hörte sie keuchen. Aber sie wurde nicht langsamer. Und plötzlich war es vorbei. Als hätte eine Schere den Wind und den Regen hinter uns abgeschnitten. Der Sturm schwieg. Die Tropfen stoppten. Himmel und See trennten sich wieder. Einzelne Sternen stachen jetzt durch die Dunkelheit über uns, ich erkannte einige dicke, dunkelgraue Wolkenkissen mit schieferblauen Streifen, die sich auftürmten. Das Wasser aber blieb pechschwarz. Glück gehabt, hat T gesagt und klang erleichtert, jetzt geht’s ab ins Körbchen.
Stolz, mich zu erinnern, wo es stand, steuerte ich auf unser Auto zu. Aber T schüttelte den Kopf: Wir schlafen im Zelt. Es gab also wieder mal ein erstes Mal. Ich hörte das angeblich schönste Geräusch der Welt, sah erstaunt zu, wie T auf Knien in unser Zelt rein- und mit einem Handtuch wieder rauskrabbelte. T rubbelte mich trocken – und krabbelte erneut ins Zelt. Kam aber nicht wieder heraus. Unschlüssig blieb ich vor dem Eingang stehen, sah hinein in ein dunkles, enges Irgendwas. Worauf wartest du? Komm rein, sagte T und klopfte auf den Boden, wo mein gelb-grünes Reisehandtuch lag. Zögernd folgte ich und blieb mitten auf dem Ersatzkörbchen stehen. T ratschte den Reißverschluss wieder zu. Das also verbarg sich hinter dem schönsten Geräusch der Welt: Man sperrt sich selber ein?! Ich fühlte mich augenblicklich unwohl. Im Zelt war es zu schmal, zu niedrig, zu unbequem. Die Luft roch seltsam. Es war nicht genug davon vorhanden. Sofort begann ich zu hecheln. Milla, ins Körbchen, sagte T freundlich und klopfte erneut auf den freien Platz neben sich.
Sie selber lag in einer Decke, die das gleiche Geräusch wie der Zelteingang machte. Widerwillig drehte ich mich ein paar Mal um mich selber. Unter meinen Pfoten spürte ich Wurzeln und Steine und Zapfen. Nach einer weiteren, strengeren Aufforderung von T legte ich mich schließlich neben sie. Ich wollte mich an die niedrige Enge gewöhnen. Doch das, was gleich passieren würde, beunruhigte mich zu sehr. Ich blieb sitzen, verstärkte mein Hecheln. T sagte freundlich: Leg dich hin, Milla, und schlaf. Ich bin müde. Merkte T denn nicht, was gleich passieren würde? Unruhig stieß ich T immer wieder mit meiner Pfote an. Erhöhte Atemtempo und -lautstärke, schnappte so nachdrücklich nach Luft, dass ich einen ganz trockenen Hals bekam. T reagierte nicht. Also verstärkte ich jetzt den Druck meiner Pfote. Verlor schließlich die Kontrolle über sie, patschte T auf die Wange, den Hals und hinterließ Kratzspuren. Ach, Milla, hat T aber nur geseufzt und wollte mich mit einem Bauchkrauler beruhigen.
Und dann, endlich, wenn auch zu spät, begriff T, dass wir in Gefahr waren. In sehr großer Gefahr. Größer noch als an Silvester. Es wurde plötzlich taghell, nur ganz kurz. Gleichzeitig krachte es so unsagbar laut, dass T aufschrie. Der tiefe Donnerschlag übertönte für einen Moment ein fast noch schlimmeres Geräusch: Zapfen und dicke Regentropfen trommelten, hämmerten und beschossen unser dünnes Zuhause. Das Zelt wankte und flatterte. Der Wind brüllte, wollte zu uns rein. Obwohl ich zu viel Körperkontakt nicht mag, T aber Angst hatte, kuschelte ich mich in dieser Nacht ganz eng an sie. Sie legte ihren Arm um mich. Wir warteten, dass das Ungeheuer da draußen endlich sein fauchendes und Blitze spuckendes Maul halten würde. Tat es auch. Irgendwann. Nur der Regen hatte keine Lust sich zu verziehen. Er tanzte auch noch um uns herum, als wir am nächsten ins Auto stiegen und vorzeitig nach Hause fuhren.
Gezeltet haben wir kein zweites Mal. Aber ich bin ganz sicher, T wird wieder tun. In einem Zelt, auf einem Campingplatz schlafen. Ganz sicher. Irgendwann.
Ein aufregendes Abenteuer hattest du da mit Milla. Ich konnte mich beim lesen richtig in deine Situation hineinversetzen und ich persönlich wäre nie im Leben bei Gewitter im Zelt geblieben, da ich schon im sicheren haus tierisch Angst hab wenn es blitzt und kracht. Tolle Geschichte und sehr schön geschrieben!
Liebe Grüße
Lisa mit Carlos