Kaum raus bei Wurst-B geht’s rein in den Zeitungsladen nebenan. Und da vergesse ich meine guten Manieren. Überhöre T’s eindringliches Milla, laaaaaangsam. Stürme vor ihr durch die Tür. Galoppiere auf die Zweibeinerin mit den kurzen roten Haaren zu. Verliere dabei meist den Boden unter den Pfoten und schliddere beim Versuch zu bremsen seitwärts gegen die niedrige Schwingtür. Die rothaarige Zweibeinerin sagt dann immer: Halt, Püppi, erst Frauchen. Frauchen, also T, hat zwar schon zwei Wälzer von Buch-K in der Tasche, aber Wortwerke in jeglicher Form kann sie ja nie genug haben. Also kauft sie mindestens vier Zeitungen, von denen sie zwei innerhalb meiner Würstchenspur im Garten schafft. Die dritte Zeitung verschnarche ich auf dem Sofa. Und die vierte döst viele Nächte neben meinem Körbchen, wächst zu einem wackligen Wortwerkeberg und wandert irgendwann beleidigt schweigend, weil unbeachtet, in die blaue Tonne.
Hat T ihre Buchstabenbeute verstaut, bin endlich ich an der Reihe. Weil die Zeitungs-Zweibeinerin vermutlich glaubt, ich könnte ihre Finger mit den Keksen verwechseln, legt sie mir die Lecker auf den Boden. Immer drei. Danach bin ich eigentlich satt. Wenn da nur nicht mein Ruf als ökoköteriges Fressschwein wäre.
Glücklicherweise verordnet mir T aber eine kurze Snackpause. Quer über der Straße, vorm Bäcker, sitze ich geduldig zwischen den Töpfen mit den kleinen Tannen, blinzle hin und wieder durchs Fenster, und wenn T endlich wieder rauskommt, zeige ich absolute Bereitschaft, nach der Medikamentenpackung (die T bei unserem Stopp bei Buch-K in ihre Tasche gesteckt hat), nun den verantwortungsvolleren Job des Brötchentütenträgers anzutreten. Selbstverständlich bin ich sehr vorsichtig – ich sabbere NIE! Denn wenn mein Speichel die Tüte aufweichen würde, würden die Brötchen auf die Straße fallen, wäre T enttäuscht und ich dürfte nie wieder die Backwarenverantwortung übernehmen.
*
Nach dem Back- und Snack-Stopp beschleunige ich meinen Schritt. Denn jetzt steuern wir definitiv den Thüringeran. Der steht mit seinem Geschäft auf Rädern am Anfang – oder auch Ende – vom Markt. Egal aus welcher Richtung: Ich finde den Weg zu ihm. Vorher machen wir aber noch einen Abstecher zu den drei Zweibeinern aus Petzow, die irgendwie miteinander verwandt sind. Vermutlich sind sie verheiratet und der Sohn hilft. Oder der Bruder. Oder alle drei sind Geschwister, hat T gegrübelt und sich selber lange im Unklaren gelassen. Warum auch immer – schließlich ist sie doch sonst nicht so schüchtern. Normalerweise plaudert sie ein bisschen mit Fremden und kennt schon nach wenigen Augenblicke Familiengeheimnisse, Verstrickungen und Details wie Schuhgröße oder Lippenstifthersteller.
Bei den Petzowern dauerte es ein bisschen länger. Aber irgendwann hat es sich dann eben doch ergeben, so ein persönliches Gespräch. Inzwischen wissen wir: Die Petzower sind eine Familie – Vater, Mutter, Kind, also Sohn. Sie stehen immer unter einem großen Schirm und verkaufen Kräuter, Blumen und ein bisschen Gemüse. Da ist ja das Pünktchen, sagt die Zweibeinerin in grauen Jogginghosen und engem Pullover dann gerne mal. Alles aus unserem Garten, sagt der ältere der Zweibeiner, der Kartoffeln und Kohlrabi in Zeitungspapier einwickelt. Und der jüngere schenkt mir IMMER einen kleinen Apfel. Selbst wenn T mal kein Obst oder Gemüse kauft. Dabei hat der Apfel-Schenker nur ein einziges Mal gesehen, wie ich T’s Apfelrest verspeiste. Und auch nur ein einziges Mal gefragt: Darf er?(Mit ermeinte er mich). T sagte: Gerne. Sah mich an und fragte: Apfel, Milla?Da habe ich mich einen Schritt vor T gestellt und die Pfote gehoben. Die Paradiesfrucht kullerte auf mich zu. Ich ließ mich fallen und hackte meine Backenzähne hinein. Gefiel dem jüngeren der Zweibeiner so gut, dass sein Mund ganz breit wurde. Seitdem ist der Stand der Petzower mein zweitliebster Stand auf dem Markt.
Und dann – endlich! – der Thüringer. Sobald ich seinen Stand entdecke, kann ich mich nur noch schwer zurückhalten. Das tut dann allerdings die Leine mit T am Ende. T legt sie mir schon am Marktplatzeingang um. Übrigens eine der wenigen Gelegenheiten, bei denen T nicht mit sich diskutieren lässt. Und ich folgsam bei Fuß gehe. Mit hoch aufgerichteter und rotierender Rute. Haben wir allerdings unser wichtigstes Marktziel erreicht, wird die Leine dann doch sehr straff und ich übergebe die Brötchentütenverantwortung ohne Rücksprache an T. Muss ich doch meine Schnauze auf der eisernen Thüringer Taschenablage platzieren. Ich schnaufe kurz, verdrehe die Augen, schiele mit meinem treuesten Blick himmelwärts und halte die Luft an. Die perfekte Methode bedürftig zu wirken. Absolut wirkungsvoll. Sind wir an der Reihe, ist mir schwindelig – vor Glück, vor Erschöpfung, vor Aufregung, vor Wurstduft. Wer weiß es schon so genau. Endlich bestellt T: Einmal wie immer. Der Thüringer fragt: Sechs? Und T antwortet: Unbedingt. Meine Geschenke von Wurst-B sind vergessen. Die Brötchentüte und fünf meiner sechs Räucherknusper trägt T. Mit dem sechsten stolziere ich nach Hause. Ohne zu sabbern, ohne zu knabbern. Ohne Anstrengung, dafür zielstrebig und schnell. Mit einem Vorsprung vor T von wenigstens sechs Häusern. Das ist der lohnenswerteste Beutezug – jede Woche. Obwohl. Manchmal kommt es auch ganz anders.