Milla vor Bianca Poster

12:13:00 – Drehbuchfragen

Kamera? Läuft. – Ton? Läuft. – Ok. Ruhe, bitte. Wir drehen. Willkommen in meiner Welt, Bianca. Deren verschlungenen und komplizierten Wege zum Glück hat T sich mit ausgedacht. Geplottet und geschrieben. Wenn T gefragt wird: Ach, du bist Drehbuchautorin? Wie spannend. Kennt man denn was von dir? Was hast du denn so geschrieben?, sagt T stolz: Alle Hochzeiten bei Bianca. Ich war Bianca. Darauf reagieren vor allem Zweibeinerinnen immer mit entzückter Bewunderung. Und fragen T Löcher in den Bauch. Wie das so ist, bei Dreharbeiten. Ob sie auch dabei ist. Ob sie die Schauspieler kennt. Wie lange sie an so einer Folge schreibt. Woher sie ihre Ideen hat.

Ich kenne die Antworten. Alle. Jede Einzelne. Ich war schließlich dabei. Jeden Tag. Und kenne deswegen auch die wichtigsten Vokabeln: Storyline. Drehbuch. Schauspieler. Location. Einschaltquoten. Set. Kameras. Studio. Außenmotiv. Nachtschicht. Teamarbeit. Champagner. Unterm Strich bedeuten sie für mich alle ein und dasselbe: Spaß. Denn irgendwo ist immer jemand, der mir heimlich irgendeine verbotene Köstlichkeit zusteckt. Mich streichelt. Immer jemand, der meinen roten Ring wegschleudert.

Weil T keine Lust mehr auf Journalismus hatte, aber trotzdem Geschichten erzählen wollte, schlitterte sie also nach ihrer Hamburgzeit in die schillernde Welt der Fernsehstars. Und ich mit ihr. Kurz: Mit Deutschlands erster und genau genommen einzigen echten Telenovela begann 2004 auch meine langjährige Karriere beim Fernsehen. T sagt heute noch, das war die beste Zeit in meinem Autorenleben. T steht nun mal auf Superlative. Ich frage mich allerdings, wenn man so atemlos durchs Leben tobt wie T, wenn noch so viel Autorenleben vor einem liegt, woher will man denn dann wissen, wann die beste Zeit ist?

Milla vor Bianca Poster

Die Stimme von Dr. C holt mich aus dem Babelsberger Storydepartment zurück nach Hause. Eben war T noch Butterblümchenbianca. Hat sich die Haare gerauft, mit gerunzelter Stirn auf den Bildschirm gestarrt, sind ihre Finger über die Tastatur geflogen, hat sie gelächelt und sich zufrieden zurückgelehnt. Wurde gelobt, hat sich gestritten, hat geweint und sich mit warmen Brötchen vollgestopft, ist durch das Büro getigert, bekam eine Flasche Prickelbrause geschenkt, weil ihre Folge so tolle Quoten hat. Und jetzt fragt Dr. C tatsächlich: Willst du wirklich keine Drehbücher mehr schreiben? Falsche Frage. Völlig falsche Frage. Mühsam und mehr als widerwillig taumele ich aus der Vergangenheit zurück in die Gegenwart. Öffne die Augen und lecke T zum Trost die Hand. Sie hasst diese Frage, mit der sie sich ständig selber quält.

Am liebsten würde ich Dr. C die Leviten lesen. T hat doch Schmerzen. Kann sich nicht konzentrieren. Weint ganz oft, weil sie in ihrem Kopf keine Geschichten mehr findet, die sie erzählen möchte. Eigentlich schon, sagt T jetzt. Zu ihrem besten Freund Onkel A hat sie vor ein paar Tagen am Telefon gesagt, sie hätte keine Lust mehr auf diesen Nuttenjob. Dabei grummelte ihre Stimme wie dunkle Gewitterwolken und ihre Augen waren klein und rot. Und jetzt sagt sie zu Dr. C eigentlich?!

Wenn T sich nur nicht so unter Druck setzen, einfach eine Entscheidung treffen und dazu auch stehen würde. Aber so sind viele Zweibeiner nun mal: Sie wollen eine Entscheidung aussprechen, die sie tief in sich drin schon längst getroffen haben. Und können es nicht. T ist ein Paradebeispiel für Unentschlossenheit. Beim Frühstück sagt sie nein zu neuen Drehbüchern. Nach dem Mittagessen sagt sie vielleicht und abends dann ja. Den nächsten Tag beginnt sie mit ich weiß nicht. Bei der Hunderunde am Nachmittag sagt sie auf keinen Fall und vor dem Schlafengehen dann wieder mal sehen. Und so geht das nun schon seit vergangenem Winter. Zwischendurch sah es so aus, als wüsste sie ganz genau, was sie statt der Drehbücher will. Hat den ganzen Sommer winzige Perlen zu Armbändern und Ketten gefädelt, mit schmalen schwarzen Stiften wilde Ornamente und Blumen auf weiße Karten gezaubert, es Freudensprung to Go genannt und auf Märkten verkauft.

Nicht, dass ich T, ihre handwerklichen Kreativschübe oder ihre Zweifel nicht ernst nehme. Aber ein bisschen schade ist es schon, dass sie immer von Zukunft, statt von Gegenwart spricht. Wenn sie sich ein Beispiel an mir nehmen würde, dann wäre sie nicht so erschöpft von diesem Hin und Her, das zu keinem Ergebnis führt. Das nichts weiter bringt als diesen muffigen, alles überlagernden Geruch von Verzweiflung, Rat- und Hoffnungslosigkeit.

*

Dr. C fragt jetzt nicht weiter, sondern steigt vom Thron. Holt ihr Stethoskop aus der Tasche. Schon wieder? Aber jetzt ist es T, die sich die kleinen Stopfen in die Ohren schraubt, die Metallscheibe an ihrem Kleid reibt und mir dann auf den Bauch legt. Sie fährt damit vorsichtig ein bisschen hin und her. Nicht unangenehm. Deswegen atme ich ruhig ein und aus und blinzle zu T hoch. Die hält die Luft an, schließt die Augen. Ich spüre, wie mein Herz langsam und regelmäßig gegen das Metall klopft. Offensichtlich beruhigt T das. Sie nimmt die Metallscheibe wieder weg, gibt Dr. C das Stethoskop zurück und flüstert, als würde sie uns ein Geheimnis verraten: Wie schön. Wieso, huscht mir ein Kolibrigedanke durch den Kopf, wieso schwimmen ihre Augen denn jetzt? Beinahe automatisch rolle ich meine Zunge aus, um tröstend T’s Hand zu streicheln. Aber T wischt sich damit über die Augen. Da höre ich eine verzückte Stimme zwitschern: She is so cute.

www.millas-blick.de

Schreibe einen Kommentar

*