Wenn Zweibeiner über Schönheit sprechen, bin ich meist überfordert. Erst seit T gesagt hat: Schönheit liegt im Auge des Betrachters, ist mir klar, dass Schönheit etwas ist, bei dem sich Zweibeiner nie wirklich einig sein werden. Für mich ist Schönheit ganz einfach zu definieren: Jeder, der freundlich ist, eine sanfte Stimme hat, der nach Glück, Treue, Zuverlässigkeit und Liebe riecht, ist schön.
Schönheit ist also für mich kein wirklich wichtiges Thema. Wohl aber für T. Meist, wenn sie eine bunte Zeitschrift durchgeackert und lange die Bilder angestarrt und geseufzt hat: Gott, wie schön kann man denn sein? Was dann oft folgt, ist seltsam. T behauptet dann nämlich, ich finde mich schon auch schön, irgendwie. Aber das klingt nicht wirklich überzeugend, wenn sie sich dabei grimmig im Fenster oder im Spiegel anstarrt. Denn sie holt dann mit einem komischen Gesicht beängstigend tief Luft, so dass ihr Bauch ganz flach und sie selber größer wird. Dann atmet T eine Weile gar nicht. Stattdessen dreht sie sich hin und her, streicht sich über die Hüften und ihr Mund wird ein Strich. Übrigens auch ein Zeichen, dass sie nicht glücklich ist: Wenn ihre Lippen verschwinden.
Manchmal schaut T auch in den Spiegel und behauptet: Wer will schon schön sein? Dabei legt sie ihre Hände aufs Gesicht und zieht es bis zu den Ohren. Sie sieht wirklich albern aus, so glattgezogen. T riecht dann zwar für den Moment nicht nach Glück, aber immer noch nach Treue, Zuverlässigkeit und Liebe. Deswegen finde ich T immer schön. Die bunten Zeitungen trägt T später rüber zu Blumen-A. Die zieht übrigens nie den Bauch ein ohne zu atmen.
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Meine Schwester, die Schönheitskönigin des Dorfes roch übrigens nie nach Glück. Und auch wenn ich auf Äußerlichkeiten wirklich keinen Wert lege, so bin ich doch stolz, dass ich irgendwann nicht mehr auf kurzen dicken Beinchen durchs Leben stolperte, sondern dank T’s Sportprogramm sehr muskulös bin und meine schwarzen Flecken wie das frisch entstaubte Klavier glänzen. Die früher wie polierter Schiefer schimmernden Fellflecken meiner Schwester sehen inzwischen schmutzig aus, und der weiße Rest erinnert an alten Sonnenblumenblütenstaub. Ihre Rippen kann man auch nicht mehr sehen. Ich hätte sie trotzdem schön gefunden, wenn sie nicht so nach Gier und Neid und Konkurrenz gerochen hätte.
T und ich haben meine Schwester ein einziges Mal zufällig getroffen. Eine so schöne Überraschung. T und ich haben uns gefreut. Aber meine Schwester knurrte übellaunig und drehte ihren dicken Kopf weg. Meine fröhliche Aufforderung, wie früher zu toben, ignorierte sie. Ein Wiesenwettrennen wollte sie auch nicht. Im Gegensatz zu meinem ältesten Bruder. Als wir uns das erste Mal zufällig in der großen Stadt trafen, waren wir beide so überrascht, dass wir uns eine halbe Ewigkeit einfach nur anstarrten. Als T mit einem Lächeln in der Stimme sagte: Das glaube ich ja jetzt nicht. Milla, guck mal, wer da ist?!, war der Bann gebrochen. Mein breitschädeliger Bruder und ich umtanzten einander und er wollte alles über mein Leben wissen. Unsere Wiedersehensfreude hätte in einem Wettrennen gipfeln können. Wenn wir nicht beide angeleint gewesen wären. Übrigens haben wir meinen Bruder und seinen freundlichen alten Zweibeiner im Laufe der Jahre noch zwei Mal getroffen. Immer an derselben Stelle.
Meine Schwester dagegen saß behäbig auf ihrem wirklich voluminösen Hintern, trug voller Hochmut ihre rosa Plastikleine an einem rosa Plastikhalsband, das durch die Fellfalte seltsam glitzerte, und tat so, als kennten wir uns nicht. Stattdessen starrte sie die ganze Zeit zu ihrer Zweibeinerin hoch. Wofür ich allerdings Verständnis hatte. Denn aus deren Hand wuchsen wundersamerweise würzig duftende Würstchen. Und zwar direkt in das Maul meiner Schwester. Ich konnte nichts dagegen tun, ich begann zu sabbern und leckte mir schnell den peinlichen Speichel ab, bevor T ihn bemerkte.
Die Zweibeinerin mit der würstchenzaubernden Hand war klein, dick und schwarzhaarig. Sie atmete sehr schwer und seufzte: Sissi leidet ganz schlimm unter Arthrose und muss Kortison nehmen. Seitdem wird sie immer dicker. Ich weiß gar nicht, was ich noch machen soll. Während sie das sagte, sah ich, dass ihre Fingernägel die gleiche Farbe wie die Leine und das Halsband meiner Schwester hatten.
T ist meist höflich, deswegen sagt sie auch nicht immer was sie denkt. Ich hörte allerdings ihren Gedanken: Sissi einfach weniger füttern, vielleicht? Aber die meisten Zweibeiner sind nun mal nicht gut im Gedankenlesen. Die von meiner Schwester war es definitiv nicht. Denn während sie mit hoher Stimme klagte, tat sie genau das Gegenteil von dem, was T dachte: Sie verfütterte fünf Wurststücke. Vielleicht waren es auch Acht. Ich bekam nicht ein einziges angeboten. Den gierig-warnenden Blick meiner Schwester vergesse ich nie.
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Ohne mich besser zu machen, als ich bin: Fressneid ist mir fremd. Wenn wir Besuch haben, von Rudi oder Finchen oder Loulou oder Gina, dürfen sie die Kekse suchen, die T eigentlich für mich versteckt hat. Ich sitze dann still da, beobachte unsere Gäste und – warte. Wohl wissend, dass mir niemand einen Keks übrig lassen wird. Oder wenn T ihnen meine Kaustangen schenkt, diese herrlich harten, dünnen, und die oft liegengelassen werden, dann mache ich mich erst darüber her, wenn unser Besuch weg ist.
Deswegen irritierte mich das rüde Verhalten meiner Schwester. Nein. Ich war nicht irritiert. Ich war beleidigt. Und zwar sehr. Wir kommen doch aus demselben Stall! Vielleicht war meine Schwester überfordert, mich so zufällig zu treffen. Vielleicht war sie immer noch wütend, weil T sich gegen sie und für mich entschieden hatte. Vielleicht war sie eifersüchtig, weil ich in freier Wildbahn nie eine Leine tragen muss.
Na ja, selbst Hunde haben mal einen schlechten Tag. Wenn die Morgenrunde zu kurz ist. Oder das Trockenfutter mal wieder so sehr in Wasser schwimmt, dass man erst mal so viel wegsaufen muss, bevor man fressen kann und vor lauter Wasser im Bauch eigentlich satt ist. Oder die Lieblingsdecke, gerade perfekt eingeduftet, hängt auf der Wäscheleine. Alles schon selber erlebt.
So oder so, dass Verhalten meiner Schwester beleidigte mich und deswegen schaute ich demonstrativ gleichgültig weg. Schielte bloß aus den Augenwinkeln zu der Hand, die Wurststücke produzieren konnte. Hat Milla denn auch Arthrose?, fragte die Zweibeinerin und streichelte meine Schwester sehr innig. T schüttelte den Kopf. Und obwohl wir es überhaupt nicht eilig hatten, behauptete T, wir müssten dringend weiter, wir hätten noch einen Termin. Als meine Schwester hinter ihrer Zweibeinerin herwatschelte und uns nicht mehr hören konnte, bekam T diesen verächtlichen Ton, in den sich manchmal auch Mitleid und Verständnislosigkeit mogeln. Arthrose! Mit zwei! Kein Wunder, wenn sie deine Schwester so vollstopft, sagte T. Dann kniete sich T vor mich, nahm mein Gesicht in beide Hände und gab mir einen Kuss auf die Nase. Du bist der schönste Hund auf der Welt, hat sie gesagt.
Schön ist ja schön und gut, selbst wenn man sich aus Schönheit eben nichts macht. Aber warum, frage ich mich immer, warum wachsen eigentlich aus T’s Händen nie würzige Würstchen, wenn wir unterwegs sind? Höchstens mal zwei trockene Kekse. Die dabei noch so winzig sind, dass ich sie quasi gar nicht schmecke.